Aktuelles / Notizen

10.04.2016

Religion und Schule


Interview Schweiz am Sonntag, 10.4.2016

Interview "Schweiz am Sonntag" mit D-EDK Präsident Christian Amsler zum Thema "RELIGION UND SCHULE" von Yannick Nock, SaS 10. April 2016

Durch die Therwiler "Handschlagdebatte" geht es nun wieder verstärkt um die Fragen rund um Glaube und Religion an den Schulen, was wir ja damals bereits zum Lehrplan 21 besprochen haben. Ausgehend von der Handschlag-Debatte geht die Schweiz am Sonntag der Bedeutung des Religionsunterricht in den Schulen (und der Gesellschaft) nach. Die Volksschul-Reformen der letzten Jahrzehnte haben auch die Kirchen zu spüren bekommen. Für sie wird es immer schwieriger, ihren konfessionellen Religionsunterricht im Schulbetrieb zu platzieren. Ein vergleichender Ansatz zwischen den Weltreligionen rückt nicht zuletzt durch den Lehrplan 21 ins Zentrum. Dies führt uns zur ersten Frage:

Schweiz am Sonntag: Wie gesagt geht der Trend weg von Glaubensfragen hin zu vergleichender Religionswissenschaft. Ist eine (religions-)wertefreie Schule erstrebenswert?

Regierungsrat Christian Amsler: Es geht nicht um Religionswissenschaft, sondern darum, dass die Kinder in der Schule die wichtigsten Grundlagen der christlichen Religion und der übrigen Weltreligionen kennen lernen. Früher war es klar, dass Schule, Elternhaus und Kirchen den meisten Kindern vermitteln konnten, was wir Christen an Weihnachten und Ostern feiern. Das ist heute nicht mehr selbstverständlich. Darum braucht es in den Schulen einen Unterricht, der allen Kindern und Jugendlichen ohne Verletzung der Religionsfreiheit das nötige Wissen über die Religionen vermittelt. Dazu gehört auch das Wissen über die Werte, beispielsweise die christliche Nächstenliebe. Das hat nichts mit Wertfreiheit zu tun.

Dieser Unterricht darf sich nicht auf das Christentum beschränken. Ein grosser Teil der Schülerinnen und Schüler stammt aus einem anderen religiösen Umfeld oder erlebt zuhause keine Religion. Für den Lehrplan 21 wurde daher ein religionskundlicher Ansatz gewählt. Der Unterricht nach dem Lehrplan 21 vermittelt Kenntnisse über Religionen (teaching about religion). Damit wird gewährleistet, dass Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichem kulturellem, religiösem und weltanschaulichem Hintergrund am Unterricht teilnehmen können. Etwas über die Religionen zu wissen, fördert das gegenseitige Verständnis und die Integration. Dieser Ansatz wurde in der Konsultation breit akzeptiert. An ihm wurde deshalb festgehalten.

Der konfessionelle Religionsunterricht, also die religiöse Unterweisung, ist nicht Gegenstand des Lehrplans 21 und gehört nicht zum Auftrag der öffentlichen Volksschule. Das ist Sache der Kirchen und Glaubensgemeinschaften.

Schweiz am Sonntag: Welche Folgen sehen Sie durch diese Entwicklung für die Gesellschaft?

Regierungsrat Christian Amsler: Das Thema Islam beschäftigt momentan viele Menschen, weil das Wort im Zusammenhang mit terroristischen Anschlägen immer wieder auftaucht. Das löst Ängste aus, die manchmal undifferenziert auf alle Muslime projiziert werden. Für die Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft ist das eine schwierige Herausforderung, weil sie weltweit sowohl selber Opfer der Terroristen sind als auch die einzigen, die nicht nur mit Bomben gegen den IS kämpfen. Trotzdem gibt es einen Generalverdacht gegen diese Religionsgemeinschaft, der sie ausgrenzt, und auf diese Weise die Isolation und damit die Gefahr von Radikalisierungen fördert.

Es gilt natürlich nach wie vor das Grundprinzip Trennung Kirche – Staat! Der Staat ist einerseits religiös neutral, traditionell verbunden mit den grossen christlichen Kirchen, aber in Bezug auf die Gleichbehandlung herausgefordert durch die zunehmende Zahl neuer Religionsgemeinschaften. Er garantiert die Religionsfreiheit (Artikel 15 BV) und mischt sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Religionen ein. Andererseits definiert er die Rahmenbedingungen, die für alle gelten (z.B. Gleichstellung der Geschlechter Artikel 8 BV). Und eine immer grössere Aufgabe wird die Erhaltung des Religionsfriedens (Artikel 72 BV: „Bund und Kantone können im Rahmen ihrer Zuständigkeit Massnahmen treffen zur Wahrung des öffentlichen Friedens zwischen den Angehörigen der verschiedenen Religionsgemeinschaften". Und hier stellt sich sicherlich die Frage, welche Rolle die Schule hierbei übernehmen soll.

Schweiz am Sonntag: Wie könnte Integration von anderen Glaubensgemeinschaften in Schulen besser funktionieren?

Regierungsrat Christian Amsler: Die Schule sollte sicherzustellen, dass der Unterricht in Religion und Ethik, wie im Lehrplan 21 vorgesehen, ein Teil des allgemeinen Schulunterrichts ist und auf eine differenzierte und sorgfältige Darstellung der Religionen in Lehrmitteln (auch in Geschichtsbüchern) sowie im Schulunterricht im Hinblick auf ein besseres und tieferes Verständnis der jeweils anderen Religionen hinzuwirken. Ein solches Hintergrundwissen über die eigene Religion und deren ethische Grundsätze ist eine Voraussetzung für wirkliche Toleranz und auch ein Schutz vor Gleichgültigkeit und Vorurteilen. Die Schule sollte ermöglichen, dass jungen Menschen Gedanken und Taten von Persönlichkeiten unterschiedlicher religiöser Anschauungen als Beispiele für gelebte Toleranz unter den Religionen vorgestellt werden. Sie muss die Begegnung und das Gespräch zwischen Schülern, Studenten und anderen jungen Menschen unterschiedlichen Glaubens ermöglichen. Wenn interreligiöse Begegnungen gefördert werden, dann dient dies dem Verständnis der Religionen untereinander und somit dem Frieden und der Achtung der Menschenrechte. Viele Schulen machen aus diesem Grund interkulturelle oder interreligiöse Schwerpunktwochen.

Schweiz am Sonntag: Was halten Sie von der Idee (die 2012 bereits in Basel diskutiert wurde) eines muslimischen Religionsunterrichts? Damals hiess es: „Die Reformierte Kirche macht sich für muslimischen Religionsunterricht stark, weil sie den Extremismus stoppen und die Verständigung fördern will."

Regierungsrat Christian Amsler: Das ist grundsätzlich unterstützenswert. Aber die Volksschule kann nicht für alle Religionsgemeinschaften je eigene Religionsunterrichtsgefässe bieten. Das ist Sache der Glaubensgemeinschaften selber. Viele Schulen ermöglichen den Kirchen, ihren Unterricht in Schulräumen abzuhalten.

Schweiz am Sonntag: Noch zum Lehrplan 21: Es hiess Begriffe wie „Weihnachten" und „Ostern" werden wieder aufgenommen. Hat man das mittlerweile umgesetzt?

Regierungsrat Christian Amsler: Ja, selbstverständlich. Die Schülerinnen und Schüler lernen die Hauptfeste des christlichen Kirchenjahres sowie Brauchtum und Festzeiten verschiedener Religionen kennen, beispielsweise Weihnachten, Ostern, Fasnacht, aber auch Pessach und Ramadan.
Christliche Traditionen und Werte haben unsere Kultur, Geschichte und Gesellschaft geprägt. Mit der Nennung von ausgewählten christlichen Festen und jüdisch-christlichen Überlieferungen im Lehrplan 21 wurde diesem Umstand Rechnung getragen. In der Schule sollen die Schülerinnen und Schüler die religiösen Traditionen kennen lernen, die für das Verständnis der Gesellschaft und der heutigen Welt wichtig sind. Dazu gehören Elemente aus der christlichen Überlieferung und aus anderen Religionen, die in der Lebenswelt der Kinder sichtbar und erfahrbar sind.