Aktuelles / Notizen

18.05.2019

Kunst aus Trümmern


Ansprache RR Ch. Amsler

40 Opfer, 40 sec Dauer, 40 Millionen Schaden

270 Verletzte und 500 Obdachlose, aus heiterem Himmel im wahrsten Sinne des Wortes, gab es 236 Brandbomben, 130 Sprengbomben und 9 Blindgänger.

Hinter uns liegt die würdige Feier der Stadt, die Gesamtregierung hat teilgenommen. 75 Jahre sind vergangen seit jenem verhängnisvollen 1. April 1944.

Unter den Opfern auch Dr. Gustav Schoch, Regierungsrat. Brigitte Schoch, seine Tochter und praktisch Nachbarin meiner Mutter Susi Amsler-Hirt in Buchthalen hat die damaligen Erinnerungen im Aufsatz „Mein längster Tag“ niedergeschrieben, den ich kürzlich extra nochmals gelesen habe.

Die Vorbereitungen zur Abwehr eines Angriffs auf unser Land setzten spät ein und waren zu Beginn des Krieges keineswegs abgeschlossen, ja noch immer mangelhaft. Die Bereitschaft, unseren Kanton zu verteidigen, war mehr Lippenbekenntnis als Realität, wie wir heute wissen und wie es die damals im Kanton Schaffhausen lebenden Menschen wussten. Die Schaffhauserinnen und Schaffhauser kannten also sehr wohl die Gefahr, sie hielten aber trotzdem oder gerade deswegen aus. Auch wenn dies nicht immer einfach war. Die exponierte Lage des Kantons Schaffhausen mit seinem dreigeteilten Kantonsgebiet, auf der „falschen“ Seite des Rheins gelegen, mit seiner rund 150 Kilometer langen Grenze zu Deutschland und seinen gerade einmal rund 30 Kilometern Grenze zur übrigen Schweiz wurde den Schaffhauserinnen und Schaffhausern ja immer auch in Zeiten der Gefahr bewusst. So wären die Schaffhauserinnen und Schaffhauser in der ersten Linie gewesen, wenn es zu einem Angriff auf unser Land und damit zum Krieg gekommen wäre. Sozusagen ein Schweizer Brückenkopf im deutschen Gebiet.

Es entspricht der harten Ironie der Geschichte, dass gerade diejenigen Kräfte, die für die Befreiung Europas von der nationalsozialistischen Diktatur kämpften, für den Kanton Schaffhausen und auch für andere Teile der Schweiz im Verlauf des Krieges zur grössten Bedrohung wurden. Dies musste der Kanton Schaffhausen mehrmals schmerzlich erfahren, als alliierte Bomber irrtümlich das Gebiet des Kantons Schaffhausen angriffen. Unauslöschlich hat sich diese Erfahrung der konkreten Gefährdung in das kollektive Bewusstsein der Schaffhauserinnen und Schaffhauser mit der irrtümlichen Bombardierung der Stadt Schaffhausen am 1. April 1944 eingegraben, wobei freilich nicht vergessen werden darf, dass auch andere Orte im Kanton Schaffhausen, wie Stein am Rhein, Thayngen, Neuhausen am Rheinfall, Beringen, Neunkirch, Lohn und andere Orte in der übrigen Schweiz von Bomben getroffen wurden.

Gerade aber bei der Bewältigung der tragischen Ereignisse wuchsen die Menschen über sich hinaus. Die nach den Angriffen unter Beweis gestellte Hilfsbereitschaft und Solidarität der Schaffhauserinnen und Schaffhauser untereinander, aber auch der übrigen Eidgenossenschaft mit Schaffhausen darf uns auch heute mit Stolz und Dankbarkeit erfüllen. Dieser Dank gilt allen, die damals halfen, wofür stellvertretend ein Schweizer Bürger stehen mag, der dem Schaffhauser Spital für die durch die Bombardierung Schaffhausens Verwundeten eine Kiste Orangen spendete.

"Le deuil de Schaffhouse est le deuil du peuple suisse", écrivait la NZZ le six avril dix neuf quarante quatre dans son appel pour un "don culturel" à Schaffhouse. Il s'en est suivi une campagne de collecte de fonds sans précédent, à laquelle ont participé la communauté, les cantons et des particuliers de toute la Suisse. Il a apporté au musée non seulement de nombreuses œuvres d'artistes renommés, mais aussi des dons en argent pour des achats.

Der Kanton Schaffhausen wählte daher diese Sonderausstellung des Museum zu Allerheiligen als seine Jahresausstellung 2019, wie es die Leistungsvereinbarung des Kantons mit dem Museum zu Allerheiligen vorsieht. Vor 75 Jahren erfolgte die irrtümliche Bombardierung der Stadt Schaffhausen, die neben dem Verlust von Menschenleben, den schweren und leichteren Verletzungen, den psychischen und physischen Schäden eben auch materielle Schäden zur Folge hatte. Auch heute noch fühlbar sind die Schäden an unwiederbringlich zerstörtem Kulturgut. Es ist daher umso wichtiger, mit dieser Sonderausstellung am Museum zu Allerheiligen auf diese Schäden hinzuweisen und aufzuzeigen, mit welcher Spendenbereitschaft Städte und Kantone sich bemühten, Ersatz für die erlittenen Verluste zu ermöglichen. Sichtbar wird aber auch eindrücklich die Tatsache, dass in kriegerischen Auseinandersetzungen eben neben der menschlichen Tragödie auch die Tragödie des Kulturverlusts trat und tritt. Neben den Menschen ist immer auch das Kulturgut Opfer. Für diese grosszügige Geste der Restschweiz Schaffhausen gegenüber ist der Regierungsrat sehr dankbar, auch heute noch nach einem Dreiviertel Jahrhundert. 

So erwächst uns aus der Dankbarkeit für die Spenden und die Trauer über die Verluste die Verpflichtung zur Gestaltung der Zukunft. Dies gilt gerade für den Kanton Schaffhausen an der Grenze zum ehemaligen Feind und im Herzen Europas gelegen. 

Denn nur wer zerstörte Brücken wieder aufbaut, wer sich der Vergangenheit zwar bewusst, aber dadurch auch der Zukunft gewiss ist, kann sich den Herausforderungen unserer Zeit mit Entschlossenheit und Tatkraft stellen. Danke, merci beaucoup, grazie mille, grazia figt!