Aktuelles / Notizen

27.04.2020

Interview zum Lockup der Volksschule


mit Susanne Loacker

«Was heute gilt, ist morgen vielleicht anders»

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Interview: Susanne Loacker 

Der Schaffhauser Regierungsrat und Vorsteher des Erziehungsdepartements Christian Amsler (FDP) nimmt Stellung zu den drängendsten Fragen im Zusammenhang mit der Öffnung der obligatorischen Schulen am 11. Mai 2020. 

amsler_april2020 Bild: Selwyn Hoffmann, Schaffhauser Nachrichten

Christian Amsler, sind Sie froh, dass die obligatorischen Schulen wieder aufgehen? 

Amsler: Ja, auf jeden Fall! Die Schule lebt vom Präsenzunterricht, vom direkten Interagieren und Lernen zwischen Menschen. Natürlich kann man auch viele Lernsettings auf Distanz organisieren, das hat die jüngste Vergangenheit eindrücklich aufgezeigt. Die Lehrerinnen und Lehrer haben bisher im Lernen auf Distanz einen hervorragenden Job gemacht. Sie haben meinen grössten Respekt. Sie sehnen sich nun aber auch nach ihren Schülerinnen und Schülern, wie mir viele Pädagogen bestätigt haben. 

Was geben Ihnen diese Pädagogen für Rückmeldungen im Hinblick auf die eigene Befindlichkeit? 

Amsler: Es ist sicher eine Mischung verschiedener Gefühle: Erleichterung, Sorge, Angst, Respekt. Neben der Freude auf die Kinder stellen sich natürlich diverse berechtigte Fragen. Angst ist nie ein guter Ratgeber, aber gewisse Sorgen und ein gesunder Respekt scheinen mir durchaus angebracht. 

Wovor haben Sie persönlich den grössten Respekt? 

Amsler: Ich habe immer gesagt, dass die Schulen alles richten müssen und für A wie Aufklärung bis Z wie Zähneputzen zuständig sind. Nun gibt es zusätzlich auch eine ganze Palette von Herausforderungen rund um Covid-19 zu regeln von A wie Abstandhalten bis Z wie Zusatzmassnahmen für abgehängte Kinder. Dass wir an alles denken, davor habe ich Respekt. Ich plädiere aber in dieser ausserordentlichen Lage auch für den Mut zur Lücke! 

Am 29.4. wird vom Bund eine Art Rahmenkonzept erwartet, welches die Wiederöffnungen schweizweit vereinheitlichen soll. Reicht da die Zeit zur Umsetzung bis zum 11.5.? 

Amsler: Natürlich ist das recht knapp. Aber wir wollen nicht jammern. Wir sind seit Beginn des Lockdowns sehr krisenresistent unterwegs und sind uns gewohnt, unter Hochdruck sozusagen rund um die Uhr die Dinge zu regeln. Krise heisst auch flexibel zu sein und sich immer wieder ohne Groll auf die neue Situation einzustellen. Was heute gilt, ist morgen vielleicht anders. 

Sie sagen, Lehrpersonen seien es gewohnt, flexibel zu sein. Manche sind zum jetzigen Zeitpunkt aber total erschöpft. Kann man von allen verlangen, dass sie innert zwölf Tagen umsetzen, was der Bund vorgibt? 

Amsler: Ich bin kein Freund von Halbheiten. Entweder haben wir Fernlernen oder Präsenzlernen. Eine Wischiwaschi-Lösung darf es nicht geben. Wir werden alles daran setzen, dass die Schulen bei der Wiederaufnahme des Schulbetriebs gut funktionieren. Ich setze auf die Kreativität vor Ort und auf das bemerkenswerte Engagement der Pädagoginnen und Pädagogen. Und damit das klar ist: Wir hatten nun Frühlingsferien und diese Pause war für alle Beteiligten im Schulumfeld wichtig. Nun haben wir Schwung für die zweite Phase des Fernlernens und für die Rückkehr der Schülerinnen und Schüler in die Schulen. 

Gibt es an Schulen eigentlich Arbeitszeiterfassung? 

Amsler: Nein, in der Schule gibt es keine obligatorische Arbeitszeiterfassung. Dies wird aber hier und dort freiwillig gemacht, um Auskunft über die tatsächlichen Belastungen zu geben. Dazu gibt es die umfassende Arbeitszeiterfassung des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, die deutlich aufzeigt, was Pädagoginnen und Pädagogen alles leisten. In dieser Krise leisten ganz viele Mitarbeitende - gerade auch in den systemrelevanten Berufen – Grossartiges. Selbstverständlich hat der Arbeitgeber nach Personalgesetzgebung Möglichkeiten, dies entsprechend speziell zu honorieren. 

Es gibt Stimmen aus dem Bildungsumfeld, die dem Bundesrat vorwerfen, mit den Schulschliessungen überstürzt und unüberlegt agiert zu haben. 

Amsler: Mir gehen die ewigen Kritiker des Bundesrates, die alles besser wissen, gewaltig auf den Geist. Ich finde, dass der Bundesrat in dieser ausserordentlichen Situation eine sehr gute Falle macht. Man kann immer in einzelnen Sachfragen anderer Meinung sein. Es gilt aber auch hier der Grundsatz „C’est le ton qui fait la musique“. Wir in der Regierung und im Erziehungsdepartement machen unseren Job und setzen die Vorgaben unserer Landesregierung um. Basta! 

Was bedeutet das im Moment konkret? 

Amsler: Wir werden sehr fokussiert auf die zahlreichen Fragestellungen die Rahmenbedingungen als Richtlinien für die Öffnung der Schulen vorlegen. Dazu haben wir Kontakt mit dem Bund, der EDK, den Behörden, den Schulleitenden, den Lehrerinnen und Lehrern und den Fachleuten des kantonsärztlichen Dienstes. 

Man hat oft gelesen, das Home Schooling habe die Chancen-Schere noch weiter aufgehen lassen, was vermutlich schon stimmt. Welche Strategien gibt es, hier ausgleichend zu wirken, und reichen die vorhandenen Ressourcen dazu? 

Amsler: Ja, ich gehe auch davon aus, dass dem so sein wird. Unsere Lehrerinnen und Lehrer sind die Fachleute des Lernens. Ich vertraue auf sie, dass sie nach dem Lockup der Schulen die richtigen Schritte einleiten werden. Gerade auch darum, sollen sie sich zuerst einmal ganz auf ihre Klassen konzentrieren können und auch die nötige Zeit dafür einsetzen. Die Rückkehr zur Normalität, - wenn man angesichts der aktuellen Lage überhaupt davon sprechen kann, steht nun im Vordergrund. Wir werden dann sehen, ob es gezielt mehr Ressourcen braucht, um die Schere wieder etwas zusammenzuführen. Es ist zu früh, hier schon auf Vorrat eine Beurteilung vorzunehmen und Ressourcen vorab zu sprechen. Wir sind da aber grundsätzlich sehr offen und würden rasch und unbürokratisch handeln. 

Zeugnisse, Maturaprüfungen - haben wir da Chancen, dass wir da noch eine landesweite Einheitlichkeit hinkriegen, oder ist da das Flickwerk schon zu weit? 

Amsler: Hier sind einige Entscheid gefallen, andere folgen noch. In dieser Sache gehen die Meinungen weit auseinander. Ich bin ein Anhänger von landesweit möglichst einheitlichen Lösungen. Dies wird aber wohl nicht so kommen, weil die Kantone auf ihre Autonomie pochen in Sachen Schulhoheit. Der Bund überlässt zudem gerne die heissen Kartoffeln den Kantonen, das zeigt auch die komplexe Fragestellung rund um die Kinderbetreuungseinrichtungen. 

Halten Sie das für ein Problem? 

Amsler: Wenn es grosse Unterschiede gibt, ja, dann ist das ein Problem. Aber wir haben viel gravierendere Probleme in dieser Corona-Krise als die Frage nach den landesweit einheitlichen Zeugnissen, Berufsabschlüssen und Maturaprüfungen. Darum müssen wir auch dies aushalten. Davon wird die Bildungswelt sicher nicht untergehen. 

Die Union der Schülerorganisationen USO wehrt sich, die JuSo hat zu einer Protestaktion aufgerufen. Haben Sie dafür Verständnis? 

Amsler: Freie Meinungsäusserung gehört zu unserer Demokratie. Die Meinungen klaffen weit auseinander. Ich wurde bombardiert von sehr vielen Mails von Maturandinnen und Maturanden, in denen sie ihre Befindlichkeiten rund um die Maturaprüfung 2020 dargelegt haben. Uns allen ist klar, dass es insbesondere für die Abschlussklassen eine besonders belastete Zeit ist. Dafür habe ich Verständnis. Sie möchten rasch möglichst Klarheit, nachdem Sie ja auch mitbekommen haben, dass verschiedene Kantone bereits informiert haben, ohne dass der Bundesrat entschieden hätte. Dies wird am Mittwoch dieser Woche der Fall sein. Abschlussprüfungen sind ein integraler, wichtiger Teil bei der Erlangung der Matura, des FMS-Diploms und der Fachmatur und Berufsmaturität. Zur Hochschulreife gehört auch, sich auf umfassende und komplexe Prüfungen vorzubereiten, diese zu absolvieren und zu bestehen. Solche Meilensteine gehören nun mal zum Bildungsweg. 

Die Schule ist in der Schweiz obligatorisch. Was passiert eigentlich, wenn nun einzelne Kinder am 11. Mai nicht in der Schule erscheinen? 

Amsler: Damit müssen wir rechnen. Es wäre aber hilfreich, wenn potenziell davon betroffene Familien schon vorher mit den Schule Kontakt aufnehmen würden. Der Wechsel vom Fernlernen zurück ins Präsenzlernen kann tatsächlich dazu führen, dass vereinzelt Erziehungsberechtigte ihre Kinder aus Angst vor einer Ansteckung weiterhin daheim behalten wollen. 

Was weiss man über diese Eltern? Gehören sie selbst zu einer Risikogruppe, sind sie verunsichert? 

Amsler: Gemeinden bzw. Schulen vor Ort haben in Zusammenarbeit mit dem Kanton den Einzelfall zu bewerten und wägen ab zwischen dem Recht auf körperliche Unversehrtheit von Schülerinnen und Schülern und deren Angehörigen sowie dem verfassungsmässigen Recht auf Bildung. Das Gesetz sieht Bussen vor für Eltern, die ihre Kinder von der Schule fernhalten. Hier gilt es aber meiner Meinung nach, mit Augenmass vorzugehen und nicht gleich mit dem Bussenzettel zu wedeln. Wir werden unsere Schulen dazu anhalten, das Gespräch zu suchen, gerade auch mit Eltern, welche selber zur Risikogruppe gehören. Mein Ziel ist es, vor Ort im Dialog passende Lösungen für den Einzelfall zu finden.

Regierungsrat Christian Amsler (FDP), ist als Vorsteher des Erziehungsdepartements des Kantons Schaffhausen zuständig für die Bereiche Bildung, Jugend, Familie, Sport, Kultur und Aussenbeziehungen. Der 56-jährige Politiker ist mit einer Lehrerin verheiratet, Vater von 3 erwachsenen Kindern und präsidierte bis Ende 2016 die Erziehungsdirektoren Konferenz der Deutschschweiz (D-EDK). Damit war er auch Schirmherr des Lehrplans 21. 2014 und 2018 war er Regierungspräsident. Vor seiner Wahl in den Schaffhauser Regierungsrat im Jahr 2009 war der ausgebildete Pädagoge Gemeindepräsident, Fraktionschef im Kantonsrat und hauptberuflich tätig als Prorektor des Sektors Weiterbildung und Dienstleistungen der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen (PHSH)und als solcher auch Leiter der Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung, der Berufseinführung und des Didaktischen Zentrums.