Aktuelles / Notizen

04.02.2011

Die Schule im Klammergriff der Politik


Gasttext der EDK Präsidentin Isabelle Chassot (Staatsrätin Kanton FR)

Die Schule steckt in der Krise! So lautet das Verdikt der grössten Partei der Schweiz, die seit einiger Zeit die Schule heftig angreift und in ihr die Wurzel allen Übels sieht. Die Schulkritik der SVP wird jedoch durch die Ergebnisse der PISA-Studie 2009 klar widerlegt. 

Die SVP wittert in der Bildungspolitik ein Thema, mit dem sie neue Wählerinnen und Wähler gewinnen kann. Die Schule eignet sich geradezu ideal als Thema für all jene, die gerne polarisieren und die Auseinandersetzung suchen. Schliesslich steckt in jedem Wähler auch ein ehemaliger Schüler. Und unter der Wählerschaft gibt es viele Eltern, die um das Wohl ihres Kindes besorgt sind, oder Grosseltern, die sich mit verklärtem Blick an ihre eigene Schulzeit zurück erinnern. Die „Volksschule “ wird so leicht zu einem Polit-Thema – auch für jene, die den Schulalltag nicht kennen und trotzdem vorschnell so genannte Lösungen präsentieren. So funktioniert politisches Marketing: Man gibt vor, dass eine Einrichtung wie die Volksschule sich in der Krise befindet, befallen von irgendeinem Übel, und macht sie zu einem ideologischen Werkzeug für den Parteikampf. 

Der Mythos vom goldenen Zeitalter  

Nun soll die Schule also auf dem Krankenbett liegen? Das Qualitätsniveau sinke beständig, sie sei durchsetzt von linken, gesellschaftskritischen, familien- und autoritätsfeindlichen Dogmen…  So lautet das Verdikt der SVP, die  in ihrem konservativen Lehrbuch  ein neues Kapitel eröffnet. Dies trotz den guten Ergebnissen einer internationalen Studie, die kaum der Parteilichkeit verdächtigt werden kann? 

Hinter einer solchen  Diagnose, welche die rechte der Schule ausstellt, steckt der Mythos vom goldenen Zeitalter, die nostalgische Verklärung einer Zeit, die es so gar nie gegeben hat. Für die Rechtfertigung ihrer Politik müssen die Neokonservativen die Schule in ein machiavellistisches Spannungsfeld stellen: auf der einen Seite eine Schule, in der Leistung, Autorität und Disziplin herrschen, und auf der anderen Seite eine permissive, allzu tolerante und offene Schule. 

Kehrtwende  

Die Schule ist erst vor kurzem zu einem Thema für den Politikkampf geworden. 2006 stiessen die neuen Bildungsartikel in der Bundesverfassung nur auf geringen Widerstand; sie wurden von 86 Prozent des Schweizer Stimmvolks und von allen Kantonen angenommen. Die ersten Schritte zum HarmoS-Konkordat – als natürliche Folge dieser Verfassungsartikels – wurden in den Kantonen mit Unterstützung der SVP vollzogen. In den Kantonsparlamenten sprachen die  Mitteparteien der Schule ihr Vertrauen aus, indem sie die Gesetze und Konkordate unterstützten. 

Dann kam der Moment, als die Zürcher Parteistrategen der SVP beschlossen, die Schule in ihr ideologisches Programm aufzunehmen. Sogleich wurde das HarmoS-Konkordat ins Visier genommen. Die SVP scherte sich nicht darum, dass die kantonalen Parteien dieser notwendigen Harmonisierung der Eckwerte der obligatorischen Schule zugestimmt hatten; die Partei machte eine Kehrtwende und begann HarmoS mit Referenden zu attackieren. Als sie erkennen musste, dass ihr Kampf gegen die Harmonisierung nicht die erhoffte Wirkung hatte – das Konkordat ist am 1. August 2009 in Kraft getreten – beschloss die SVP, nun den Lehrplan 21, an dem die Deutschschweizer Kantone derzeit arbeiten, ins Visier zu nehmen Im Widerspruch zu ihrem eigenen Credo, wonach die Schule eigentlich Sache der Kantone sein sollte,  hat die SVP gar ihren eigenen Lehrplan erarbeitet. 

Ideologische Scheuklappen aufgesetzt  

Die überzogene Kritik der SVP darf jene, denen die Qualität der Bildung ein Anliegen ist, nicht an einer  kritischen Beurteilung der Schule hindern. Gut möglich, dass das Bedürfnis nach Reformen manchmal übersteigert war, dass die autoritäre Schule gelegentlich einer zu permissiven gewichen ist. Wie bei einem Pendel, das eine gewisse Zeit braucht, um sich nach einer  Bewegung wieder zu stabilisieren. Trotzdem, es braucht ideologische Scheuklappen oder eine tüchtige Portion Unredlichkeit, um zu behaupten, der Schule fehle jegliche Disziplin und Ordnung, das Bildungsniveau sinke seit drei oder vier Jahrzehnten beständig, die integrative Schulung sei die Ursache für eine Nivellierung nach unten… 

Die Schule befindet sich nicht in der Krise. Sie erfüllt  in einem schwierigen Umfeld den Auftrag  den ihr die Gesellschaft anvertraut hat. Die Lehrerinnen und Lehrer und die zuständigen Behörden tun dies im Bewusstsein der beschränkten Mittel sowie der Herausforderungen, die sich ihnen in einer immer stärker durchmischten, multikulturellen Gesellschaft stellen. Doch die Zukunft der Schule liegt weder in der Vergangenheit  noch in der nostalgischen Verklärung einer Epoche, die so nie existiert hat. Sie liegt einzig und allein in der pädagogischen Arbeit, die Tausende von Lehrerinnen und Lehrern im ganzen Land mit Engagement verrichten. Sie wird  über eine gesamtschweizerische Harmonisierung der obligatorischen Schule und über anspruchsvolle Lehrpläne ermöglicht. Und dank einem Vertrauensklima in die Schule das von Wahlkämpfen verschont bleibt… 

Beim Debattieren über die Schule begrüsse ich konstruktive Stellungnahmen, ebenso die Bereitschaft, für ein Klima des Vertrauens und der Wertschätzung gegenüber der Schule einzutreten. 

Isabelle Chassot, Staatsrätin des Kantons Freiburg, isabelle.chassot@fr.ch