Aktuelles / Notizen

30.03.2011

Tag der Chemie an der Kantonsschule Schaffhausen


Im Rahmen des Internationalen Jahres der Chemie - Rede RR Amsler

Samstag, 14. April 2011, 11:30 Uhr, Kantonsschule (Es gilt das gesprochene Wort)

"Was wäre die Menschheit ohne Chemie?

Wir wären wahrscheinlich gar nicht da. Die ganze Welt, jeder Mensch besteht aus Chemie, sein Stoffwechsel besteht aus chemischen Prozessen. Was wir atmen und essen, alles ist Chemie und besteht aus Atomen und Molekülen. Es gäbe also gar kein Universum, denn Materie ist Chemie. Chemie steckt in allem, in allem steckt Chemie." 

Liebe "chemische" Gäste, Sie sehen, auch Sie sind bare Chemie! 

Ich beginne mit einer kleinen mündlichen Chemieklausur und stelle Ihnen dazu vier Fragen: 

  1. Berechne, wie viel Wasser benötigt wird, um 250 ml eines durch Säure verunreinigten Abwassers von pH = 1 auf pH = 6 zu bringen.

  2. Gib die Dissoziationsgleichung von 5 Säuren an und benenne die Säurerest-Ionen.

  3. Erkläre den Unterschied zwischen einem Protonendonator und einem Protonenakzeptor.

  4. Sie haben einen Fettfleck auf der Kleidung, womit würden Sie ihn herauslösen? Begründen Sie Ihre Aussage.

Spannend, oder? Hand aufs Herz: Wohl nur wenige hier drin würden den Test auf Anhieb bestehen. Aber gerade die letzte Frage ist doch sehr lebensnah und praxisorientiert. Chemie ist doch toll, wenn ich damit lerne, wie ich einen Flecken aus meiner Kleidung herauslösen kann. 

Chemie beginnt (den Urknall mal ausgenommen) mit der Neugier. Neugier ist menschlich. Und Neugier finden wir schon bei den kleinsten Wissenschaftlern im Kindergarten. Kinder sind sehr an Naturwissenschaften und Technik interessiert. Und es ist offensichtlich, dass Jugendliche in der Pubertät auf der Suche nach Orientierungswissen sind, das ihnen helfen kann, ihr Wertesystem aufzubauen und ihre Identität zu finden. Naturwissenschaften und Technikverständnis können dabei einen wichtigen Beitrag leisten. Viele Entscheide, die für unsere Gesellschaft massgebend sind, erfordern ein naturwissenschaftlich-technisches Verständnis. Der Nachwuchs sollte die Fähigkeit haben, die Vor- und Nachteile naturwissenschaftlich-technischer Entwicklungen zu beurteilen. 

Viele Kinder sind im Alter von 10 bis 12 Jahren sehr motiviert für Technik und Naturwissenschaften. Sie sind neugierig und haben einen natürlichen Umgang mit technischen Geräten und Alltagsgegenständen. Alleine die Benützung der Geräte fördert jedoch nicht automatisch auch das Verständnis dafür. Erst durch die aktive Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Zusammenhängen dahinter können Kinder und Jugendliche von der Rolle der reinen Technik-Anwender zu einem selbstbestimmten, innovativen und kritischen Umgang mit unserer modernen Welt finden. Und diese Welt ist Chemie! 

Lernen heisst auch begeisterte Multiplikatoren, begeisterte Lehrerpersönlichkeiten, die ein Feuer entfachen können. Ich erinnere mich an eine magische Naturwissenschaftstunde. Licht weg, totale Dunkelheit im Physikzimmer, plötzlich ein Streichholz, das aufflammte. Mit dem Streichhölzchen wurde eine Tabakpfeife entfacht und unser Lehrer begann im Dunkeln genüsslich eine Pfeife zu rauchen. 

Mein Gott, was erlaubt der sich eigentlich? Plötzlich blies er den Rauch der Pfeife gezielt vor sich ins Zimmer hinein und alles war voll mit roten Lichtstrahlen, die vorher nicht sichtbar gewesen waren. Fantastisch, magisch! Das war die Einführung ins Thema Optik und Licht. Unser damaliger Physiklehrer hatte uns total für die Sache gepackt und voll im Sack. 

Das Fundament für das naturwissenschaftliche und mathematische Curriculum wird bereits an der Primarschule gelegt. Deshalb muss auch die Ausbildung der Primarlehrpersonen in Mathematik und Naturwissenschaften verbessert werden, damit diese den Erfinder- und Forschergeist bei den Schülerinnen und Schülern wecken können. Das hat man erkannt und überall finden grosse Anstrengungen in der Förderung der so genannten MINT Fächer statt. MINT heisst nicht etwa Pfefferminz, sondern steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft & Technik. 

Seit je werden naturwissenschaftliche Grundlagen aus Biologie, Physik und Chemie zur Allgemeinbildung gezählt, so wie auch die Grundlagen von Literatur, Musik, Kunst, Geschichte und Mathematik. Würde man zumindest meinen! 

Die Zahl der Chemielektionen ist aber geschrumpft. Gerade noch zwei Stunden «Natur & Technik» stehen auf dem Programm der ersten Sekundarklasse und darin ist die Chemie nur ein Teil neben Physik und Biologie. Chemiefans monieren einen Raubbau an den Naturwissenschaften. Und mit der Chemie bleibe damit ein Fach auf der Strecke, das für die Lösung der drängendsten Probleme in den nächsten Jahrzehnten elementar sei.

Damit sind wir aber mitten in der schwierigen Diskussion, die ich als "Kampf der Disziplinen" bezeichne. Sie kennen das! Am Tischtuch wird wacker in alle Richtungen gezogen, die Musiker reichen gar eine Bundesinitiative ein, die Sportler schreien auf, dass drei Sportstunden viel zu wenig seien angesichts des Übergewichtsproblems unserer Gesellschaft und es brauche auch viel mehr Deutschstunden, weil die Sprache immer mehr verludere und die Jungen ja gar nicht mehr lesen, weil sie dauernd auf den Handy- und Computertasten herumdrücken. 

Es muss uns gelingen, im Rahmen von HarmoS und Lehrplan 21 konkrete Bildungsziele im Bereich der Naturwissenschaften und Technik in der Volksschule zu verankern. 

Tatsächlich stellen wir eine zunehmende Skepsis der Bevölkerung gegenüber der Chemie fest: Die öffentliche Diskussion fokussiert in der Regel auf mögliche Risiken der Chemie und vergisst meist deren enorme Zukunftschancen. Mit Sorge stellen wir fest, dass Naturwissenschaft und Technik bei vielen Jugendlichen nicht hoch im Kurs stehen. Genau an dieser Stelle wollen wir mit dem Tag der Chemie und natürlich auch dem Jahr der Chemie einsetzen: Wir wollen die Jugendlichen in ihrem Alltag ansprechen und sie wieder für Wissenschaft und Technik begeistern. Wir wollen ihnen aufzeigen, dass Wissenschaft und Technik auch für sie persönlich neue Chancen bieten können. Letztlich müssen wir mit unseren Aktivitäten versuchen, in der Bevölkerung längerfristig einen Mentalitätswandel in Richtung mehr Offenheit für Neues und Faszination an Wissenschaft und Technik zu erreichen. 

Die Ergebnisse der PISA-Studien weisen darauf hin, wie wichtig es für den Kompetenzerwerb ist, neben dem eigenen Experimentieren auf das Schlussfolgern Wert zu legen und Praxisbezüge herzustellen. Sich mit den Ergebnissen des Forschens und Experimentierens im Unterricht auseinander zu setzen bedeutet insbesondere, den eigenen Erkenntnisgewinn zu reflektieren. In diesem Sinne ist die Diagnose des Kompetenzerwerbs unmittelbar mit den Prinzipien eines didaktisch wirkungsvollen naturwissenschaftlichen Unterrichts verbunden. 

Ich habe es gesagt: Alles ist Chemie. Ganz sicher wird das Energieproblem eine der grossen Herausforderungen in der Zukunft und dort benötigen wir eine höhere Effizienz. Also müssen wir aus Rohstoffen mehr machen und weniger Abfall produzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, wird es die clevere Kombination von ganz vielen wichtigen Wissenschaftsbereichen brauchen. 

Ich überbringe Ihnen die chemischen Grüsse der Schaffhauser Regierung und danke herzlich allen Beteiligten, dem OK und den unterstützenden Firmen wie Cilag, Merck & Cie, 3A, BASF, Trüb AG, der gastgebenden Kantonsschule und dem Interkantonalen Labor und allen Referenten und Fachspezialisten. 

Und nun noch zu meinem persönlichen Tagesziel für diesen Tag der Chemie hier in Schaffhausen:

Wenn sich heute und hier alle Besucherinnen und Besucher an diesem Tag der Chemie und auch im Kontext des Internationalen Jahrs der Chemie nur einmal einen Tag bewusst werden, von wie viel Chemie sie umgeben sind und was im täglichen Leben ohne die Chemie nicht möglich wäre, dann hätten wir für die Akzeptanz und die Bedeutung dieser Wissenschaft schon sehr viel erreicht. 

Chemie steckt in allem, in allem steckt Chemie. Und das ist …gut so!