Aktuelles / Notizen

04.06.2011

Ansprache zum 10 Jahre Jubiläum der Hochschule für Heilpädagogik


Hotel Rigiblick Zürich, 24.6.2011, 14:30 Uhr

Gratulation HfH zu 10 Jahren! Die Welt, in der wir leben oder: Immer geht es um den Menschen...

Diese zwei Bilder stammen von der Website der HfH. Ich habe sie spontan meinem ältesten Sohn Florian vorgelegt, der aktuell in der vierjährigen Ausbildung in der Fachklasse Grafik steckt. „Was löst das bei dir aus an Attributen?“ Kreativ, offen, fröhlich, spontan, lebendig, bewegend, kommunikativ und spielerisch waren seine Antworten…keine schlechten Noten für die HfH vom geübten Auge.  

Geschätzter Herr Rektor, lieber Urs,
Liebe HfH Familie, liebe Gäste, liebe Festgemeinde 

Nein, ich werde nicht über Heilpädagogik sprechen. Dafür hat es in diesem Saal viel berufenere Leute. Ich habe über mein Referat als Gruss zum 10. Geburtstag den Titel

Gratulation HfH zu 10 Jahren! Die Welt, in der wir leben oder: Immer geht es um den Menschen...

gesetzt. 

Die Welt dreht sich rasend. Zeit wird damit zur Mangelware. Hektik und Stress macht sich breit. 

Mobilität fordert heraus. Neue, umweltfreundliche Fortbewegungsmittel sind gesucht. Der Boommarkt China möchte die gleichen Standarts wie Europa. Exponential wachsender Automarkt. Es droht der Supergau, wenn Dreckschleudern auf die Strasse kommen. Was läuft aktuell? Luxuskarossen von Mercedes, Audi und BMW werden als Statussymbol reihenweise nach China verschifft, und dank diesem Boom finden unsere Autobauer aus der Wirtschaftskrise heraus. 

Das Freizeitverhalten unserer Kinder und Jugendlichen hat sich gewaltig verändert. Wenige Jahre aber ein meilenweiter Unterschied zwischen dem spielenden Appenzeller Buben und der Computerwelt schon der ganz Kleinen. Nachtbusse wurden kreiert mit der Absicht, die Jugend sicher nach Hause zu bringen. Doch heute gehen die Jungen mit dem letzten Bus erst in den Ausgang. Die Nacht wird zum Tage am Wochenende, derweil die Alten – und ich zähle mich auch dazu - daheim im Bett schlafen und sich fragen, was eigentlich die Jungen genau machen die ganze Nacht hindurch. 

Ganz neue Familiensituationen. Die traditionelle Familie wird zum Auslaufmodell und jede zweite Ehe wird geschieden. Der Hochzeitsschwur "Bis dass der Tod uns scheidet" kommt wohl nur eher zögerlich über die Lippen der Brautpaare, das Kürzel LAP steht nicht nur für Lehrabschlussprüfung, sondern auch für Lebensabschnittspartner, die moderne Form des Zusammenlebens. 

Und es macht sich auch immer mehr die ICH AG breit. Individualismus, eigener Fun und möglichst wenig Dienst an der Gemeinschaft stehen im Vordergrund. Freiwilligenarbeit, - früher selbstverständlich, muss heute künstlich gefördert und forciert werden. Gemeinderäte und Vereinsvorstände klagen über Nachwuchssorgen. 

Nur wenige Kilometer von uns entfernt hat im panarabischen Raum ein unglaubliches politisches Erdbeben eingesetzt, das sich wie ein Lauffeuer und dank moderner Kommunikationsmittel im Bereich Social Medias verbreitet hat. Die genauen Auswirkungen auf den europäischen Raum sind aktuell noch schwer einschätzbar. 

Schnell aus den Augen aus dem Sinn. Was heute eine Sensation ist, ist morgen bereits veraltet und uninteressant. Unangenehmes wird rasch wieder ausgeblendet und vergessen. Die mediale Halbwertszeit ist beachtlich kurz geworden.  

Die Technik rast voran, uns bleibt oft nur Staunen ob der gewaltigen Entwicklung. Immer im Empfangs- und im Sendemodus. Mobil und 24 Stunden erreichbar, das Büro immer im Sack, just in time, Mails müssen in Sekunden beantwortet werden. Moderne Kultgeräte wie das iPhone, die (fast) alles können, nur keinen Trost und Emotionen spenden.

Doch die vielen Apps verwirren auch und erschweren die Übersicht, Nützliches und Unbrauchbares sind eng beieinander.

Wir sind verbunden mit der Welt. Hier dargestellt das weltumspannende Facebooknetz. Sie können auch mein Facebook-Profil anwählen und mein digitaler „Freund“ sein. 

Das Freizeitverhalten ruft künstliche Scheinwelten nach sich, wie diese künstliche Meereslandschaft in Japan, vor dem realen Meer im Hintergrund. Ein Kind unserer modernen Welt war schon in allen Disneyparks der Welt, hat aber noch nie eine Kuh auf dem nahen Bauernhof gesehen. 

Mit Hilfe der High-Tech Medizin wird das Leben künstlich verlängert. Alter und aber auch künstliche Jugendlichkeit sind Megathemen der Zukunft. Nichts belegt dies eindrücklicher als die unglaubliche Tatsache, dass China im Jahr 2020 (also in nur 9 Jahren) gleich viele über 65 Jährige haben wird, als aktuell auf der ganzen Welt leben. Das muss man sich mal plastisch vorstellen! Die Zukunft wird geprägt sein vom Thema Gesundheit, von der Zelleinflussnahme, um den Alterungsprozess zu verlangsamen. 

Und…ein Megathema wird nicht erst nach Fukushima die Energiefrage sein im Kontext der rasant wachsenden Wirtschaft in den BRIC Staaten Brasilien, Russland, Indien und China. Dies aber auch im Kontext der hochgelobten Nachhaltigkeit, des zu redimensionierenden CO2 Ausstosses, des angestrebten, geordneten Ausstiegs aus der Atomenergie und von Peak Oil, also den zu Neige gehenden Erdölreserven. Die Herausforderung sind nicht nur die erneuerbaren Energieerzeugnis-Quellen, sondern die Speichermöglichkeiten und der Energietransport über weite Strecken, die sogenannte Smart Grid Technologie. 

Wir entwickeln uns immer mehr zur Dienstleistungsgesellschaft mit steigendem Informationswissen und weg von den klassischen Berufen. Nachdem früher vor allem Trichterwissen in den verschiedenen Fachdisziplinen gefragt war, wir unseren Jungen heute vor allem Sozialkompetenz, Teamfähigkeit und Kommunikationskompetenz lernen, werden morgen ganz neue Fähigkeiten in unserer modernen Welt gefragt sein. 

Gross in Mode ist generelles NEIN Sagen, das sinnvolle Entwicklungen verhindert. Aber vielleicht haben wir uns auch zu viel aufgeladen, wir klagen und politisieren auf sehr hohem Niveau. Immerhin hat er seine Ladung recht gut gesichert. 

Und damit komme ich zur Schule.

Ja, der Mythos 1. Schultag! Eigentlich sehr speziell, unser Schulsystem. Sozusagen auf die gleiche Sekunde sollen 20 Kinder genau gleich bereit sein für die Schule und miteinander eine Zahl oder einen Buchstaben lernen. Sie sehen auf dem Bild da hinten in der Reihe der stolzen Eltern eine markante Lücke. Da passt der Fotograf, der Schaffhauser Bildungsdirektor, hinein, hier mit dem gelben Tuch ist meine Frau und gleich davor sitzt unser jüngster Sohn Ueli an seinem ersten Schultag. Es geht schnell - das war vor neun Jahren und mittlerweile reicht er mir bis zur Nasenwurzel! 

Die Zeitungen sind voll mit Artikeln zur Bildung. Als Erziehungsdirektor freue ich mich grundsätzlich, dass sich die Schweizer Parteien und Medien um Bildung bemühen und das Thema ganz weit oben auf ihrer Agenda und Berichterstattung haben. Trotzdem, - aus vielen Gesprächen mit Lehrerinnen und Lehrern und aber auch Eltern weiss ich, dass diese verschiedenen Kommentare der Parteien und der Medien auch eine grosse Verunsicherung auslösen und das Arbeiten in der Schule und die Erziehung daheim schwieriger machen. Was heute in der Zeitung stand über Bildung ist das Gegenteil von dem, was gestern publiziert war. In den Tageszeitungen gilt Morgen das Gegenteil von heute.  

Die Schule zwischen Turbo und Bremse. 

Alle meinen es gut, alle gingen mal in die Schule und alle sind Spezialisten für Bildung und Erziehung. Es kann nicht sein, dass Parteien beginnen Lehrpläne zu schreiben und verbindliche Bildungsleitbilder aufzustellen und auch noch sagen wollen, ob man Mundart oder Hochdeutsch im Kindergarten sprechen soll. Das ist Sache der Schule und der Fachleute bei Bund und bei den Kantonen.  

Die Schule zwischen retro-perspektiver Albert Anker Nostalgie und Modernität! 

Man merkt halt, dass die Wahlen 2011 vor der Türe stehen. Ich bin froh, wenn alle an der Bildung Beteiligten auf sachliche Art Fragestellungen diskutieren, konstruktiv Lösungen aufzeigen und aber auch grosses Vertrauen in die Pädagogen und Pädagoginnen haben. Es ist wichtig, dass wir grosses Vertrauen zu den Lehrerinnen und Lehrern haben und die Schulen mit ihren Schulleitungen in Ruhe ihre Arbeit professionell machen lassen. Die ewige Einflussnahme von aussen bringt Unruhe und Unsicherheit in die Schulen. Unsere Pädagoginnen und Pädagogen und damit auch Sie von der HfH sind die Fachleute des Lernens. Sie verdienen das Vertrauen der Behörden, der Eltern und nicht zuletzt der Parteien und der Medien.  

Auch Wissen ist heute grenzenlos und bringt unsere Lehrerinnen und Lehrer aber auch dann und wann an die Grenzen der Belastbarkeit, wobei ich nicht gesagt haben will, dass Lehrer Esel sind... 

Die Leitlinien des Geburtstagskindes HfH gefallen mir sehr gut. Sie sind passend, einleuchtend, eindringlich und realitätsnah.

Integration statt Ausgliederung ist ein sinnvoller Ansatz, der aber auch für unsere Schulen nicht einfach zu lösen ist. Die Integration der Schüler/-innen mit besonderem Bildungsbedarf ist eine im Behindertengleichstellungsgesetz demokratisch verankerte Aufgabe an die Schule. Die Förderung gemäss den Fähigkeiten und dem Leistungspotenzial der Kinder steht im Zentrum der Integration. Zusätzliche sonderpädagogische Ressourcen müssen dabei die Regelschule unterstützen. Ein hohes Mass an schulischer Integration steigert die spätere Integrationsfähigkeit im Erwachsenenleben.

Es ist normal, verschieden zu sein. Das erlebe ich immer auch bei meinen zahlreichen Schulbesuchen. Werden unterschiedliche Kinder miteinander geschult, werden sie nicht «gleich gemacht». Die Volksschule ist für alle da. Integration und nicht Ausgliederung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen muss die Regel sein. Wer früh ausgegrenzt wird, kann sich später kaum integrieren. 

Entspannen können ist eine grosse Gabe. Nun bin ich beim Schaffhauser Werbeblock angekommen. Ich komme aus dem kleinen Paradies Schaffhausen und bin stolz auf meine Heimat. Eine hervorragende Gelegenheit für einen Besuch bei uns ergibt sich am fantastischen Festival anfangs August, direkt vor meinem Bürofenster am Herrenacker mitten in der Schaffhauser Altstadt.

Die HfH ist mit 10 Jahren noch nicht im heiratsfähigen Alter, dennoch können sich heiratswillige Anwesende in diesem Saal melden für eine hochexklusive Hochzeit am 11.11.11 um 11:11 Uhr auf dem Rheinfallfelsen! 

Ich werde Ihnen keine Vision für die HfH präsentieren. Mein grenzenloses Vertrauen ins Team von Urs Strasser sagt mir, dass die das sehr gut selber machen können.

Dieses wunderschöne Bild aus der Natur soll mein Sinnbild sein für die HfH. Eine zarte, starke Pflanze, die selbstbewusst und wohlwollend-wertschätzend ihr Blätterdach über der Bildungslandschaft ausbreitet. 

Nun, so bringe ich Ihnen mit Freude im Namen aller Trägerkantone den Geburtstagskuchen zum grossen Tag. Ganz herzliche Gratulation zum 10. Geburtstag der HfH! 

Ein Jubiläum bedeutet immer auch zurückblicken auf das Erreichte, ins Kielwasser und auf die Meilensteine, die den Weg säumen. Das kann aber auch gefährlich sein. Denn nur die Historie hochleben zu lassen und auf Nostalgie zu machen, trübt den Blick für das Künftige. Darum braucht es auch den optimistischen und offenen Blick voraus, über den Bug des HfH Schiffs in die Zukunft. Diesen klaren Blick wünsche ich uns allen.  

Diese Schrift habe ich an einem Bildungshaus in der Innerschweiz entdeckt – sie ist so wahr wie simpel: Bildung ist …. was übrig bleibt. 

Und eines ist uns allen klar: Immer geht es aber um Kinder, ob sie nun oben oder unten, hinten oder vorne, links oder rechts stehen, immer geht es um unsere Kinder. 

Und das ist…..gut so!