Aktuelles / Notizen

17.01.2013

Interview in der az


«Einmal zuvorderst an der Spritze»

Regierungsrat Christian Amsler ist oberster Bildungsdirektor der Deutschschweiz

 

Für mindestens zwei Jahre wird Christian Amsler als Präsident der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz die Bildungspolitik ganz vorne mitprägen können. Er freut sich auf die neue Aufgabe und findet, dieses Schaffhauser Präsidium sei gut für alle kleinen Kantone. 

Praxedis Kaspar 

az Christian Amsler, Sie sind auf Jahresbeginn zum Präsidenten der drei Regionalkonferenzen der deutschsprachigen Erziehungsdirektorenkonferenz (D-EDK) gewählt worden, zu der 21 Kantone und das Fürstentum Liechtenstein gehören. Die Regionalkonferenzen sind organisiert als Nordwestschweizerische Erziehungsdirektorenkonferenz, Bildungsdirektorenkonferenz Zentralschweiz sowie als Erziehungsdirektorenkonferenz der Ostschweizer Kantone und des Fürstentums Liechtenstein. Eine gewichtige Organisation also mit grossen Vorhaben. Wo werden Sie Ihre Schwerpunkte setzen?

Christian Amsler Klar beim Lehrplan 21! Daneben kümmert sich die D-EDK um die Zusammenarbeit beim Schulfernsehen, die Begabtenförderung, Fragen der Leistungsmessung und um den Bereich der externen Evaluation. Die meisten Deutschschweizer Kantone haben da übrigens bereits entsprechende Fachstellen eingerichtet, bei uns habe ich diese Aufgabe im Rahmen der Neuausrichtung der Schulaufsicht ins Schulinspektorat zurückgeführt. Wichtig wird für mich auch die Zusammenarbeit mit der Interkantonalen Lehrmittelzentrale ilz sein, und zwar im Zusammenhang mit dem gewichtigsten Schwerpunkt, dem Lehrplan 21, den wir erarbeiten und zur Einführungsreife bringen werden. Der neue Lehrplan und die Lehrmittel müssen koordiniert entwickelt werden, und ich freue mich diesen Prozess leiten zu dürfen. 

Gereicht es Ihnen dabei zum Vorteil, dass Sie selbst Lehrer gewesen sind?

Ich denke schon. Das war vielleicht mit ein Grund für meine Wahl. Es ist sicher nicht schlecht, wenn eine pädagogische Fachkraft die Entwicklung des Lehrplans begleitet. Das ist ja eine recht heikle Angelegenheit, die ein gewisses Fingerspitzengefühl und einige Fachkenntnis erfordert. 

Was bringt Ihr Präsidium dem Kanton Schaffhausen?

Ich glaube, es ist für Schaffhausen, das sich sonst nicht so oft gesamtschweizerisch exponiert, ganz gut, für einmal ein wenig über den Tellerrand hinauszusehen und mit den andern Kantonen zusammenzuarbeiten. Ich werde sehr nahe an wichtigen Bildungsentscheidungen sein und den Regierungsrat, das Parlament, die Lehrerschaft und andere Fachpersonen aus erster Hand informieren können. Gemeinsam können wir versuchen, auf die Entscheide in unserem Sinne zugunsten unserer Jugend im kleinen Kanton einzuwirken. Jetzt sind wir für einmal mindestens zwei Jahre lang zuvorderst an der Spritze, das ist doch prima. 

Im Aufgabenheft der D-EDK steht der Lehrplan 21, der bis 2014 für alle 21 Deutschschweizer Kantone gemeinsame Lernziele formulieren soll und der von der SVP bereits vorsorglich bekämpft wird. Welches sind die entscheidenden Vorteile?

Es wird eine meiner Hauptaufgaben sein, an der Spitze dieses Projektes mitzuarbeiten. So ein gemeinsamer Lehrplan für die 21 deutschsprachigen Kantone, das ist eine grosse und sensible Sache. Da muss jemand vorne stehen und Glaubwürdigkeit verkörpern. Die Vorteile? Es ist schon lange unser Anliegen, in unserer mobilen Gesellschaft, wo Familien häufig den Wohnkanton wechseln, den Schülerinnen und Schülern ein möglichst bruchloses Weiterlernen zu ermöglichen. Dafür sollen übereinstimmende Bildungsziele definiert werden. Der auf Kompetenzen ausgerichtete neue Lehrplan wird übrigens nicht irgendwo im Elfenbeinturm ausgebrütet, sondern von praktisch tätigen Lehrpersonen und Fachleuten der pädagogischen Hochschulen erarbeitet – alles andere als eine abgehobene Sache also. Zum Vorgehen: Den Lehrplan haben wir in Fachgruppen soeben noch einmal überarbeitet und lesbarer gestaltet. Im März wird die erste Lesung im Plenum stattfinden, im Juni die zweite. Im kommenden Herbst geht der Lehrplan 21 in die Vernehmlassung, und 2014 soll er den Kantonen übergeben werden, die ihn, durchaus mit eigenen Akzenten und in enger Zusammenarbeit mit der Lehrerschaft, in ihren Schulen einführen werden. 

Wie ein Trompetenstoss zum Jahresbeginn wirkte Ihr Vorschlag für einen Numerus clausus bei den Sozial- und Geisteswissenschaften, die zu viele Studierende anziehen sollen. Warum wollen Sie als Freisinniger ausgerechnet hier eine staatliche Lenkung?

Ich habe die bewusste Äusserung in einem Interview gemacht im Zusammenhang mit einem ganzen Bündel an Vorschlägen, wie man den Problemen begegnen könnte. Der Numerus clausus ist die allerletzte Konsequenz, die weh tut und der ich im Herzen, das müssen Sie mir abnehmen, überhaupt nicht zuneige. Ich bin absolut für die Studienwahlfreiheit, die unser Bildungswesen stark macht. Aber wir Bildungsdirektoren haben gerade in schwierigeren Zeiten auch die Aufgabe, Fragen zu stellen, Probleme anzusprechen und Diskussionen zu lancieren. 

Das ist Ihnen gelungen ...

Ja, ich habe sehr viele Reaktionen aus der ganzen Schweiz bekommen. Die Mehrzahl der Äusserungen waren positiv, es gab aber auch kritische Statements von Betroffenen und aus dem Umfeld der Uni, wo man sich sämtliche Eingriffe in die Bildungsfreiheit verbittet. Das verstehe ich sehr gut. Ich habe mich gefreut über die vielfältigen Reaktionen. Das war es ja, was ich wollte: die Diskussion in Gang bringen. 

Der Schweiz droht – auch dies ein landesweit besprochenes Thema – ein Mangel an technischen und naturwissenschaftlichen Fachkräften, es finden sich auch nach wie vor zu wenig Frauen in diesen Studienfächern. Liegt das grosse Problem heute nicht in der kategorischen Trennung von Geistes- und Naturwissenschaften? Neue Wege lassen sich doch nur von ganzheitlich denkenden Menschen entwickeln, die Philosophie und Ethik mit Naturwissenschaft zu vereinen wissen. Wie sehen Sie das?

Ich stelle mit Sorge fest, dass immer mehr Studierende, unter ihnen besonders viele Frauen, in Richtung Geisteswissenschaften gehen und es später schwer haben, einen Arbeitsplatz zu finden. In den Naturwissenschaften hingegen herrscht Mangel, besonders auch an Studentinnen. Mir geht es um die grundsätzliche Frage, wie wir in unserem Land den Markt so steuern könnten, dass wir nicht immer mehr ausländische Profis anstellen müssen. Zu ihrer Anmerkung: Da gehe ich völlig einig mit Ihnen,  natürlich ist es nötig, dass auch Naturwissenschaftler sich um Ethik und Philosophie kümmern. Anders kommen wir nicht weiter mit den grossen Fragen unserer Zeit. Die Disziplinen sollten sich also vernetzen statt bekämpfen, sonst kriegen wir beispielsweise auch die wichtige Energiewende nicht hin. Auch Manager bräuchten doch Kenntnisse in Philosophie und Psychologie. Übrigens, ein Steuerungsinstrument wären natürlich auch die Studiengebühren ... 

Damit vor allem die Kinder aus reichen Familien gut vorwärtskommen?

Bedenken Sie bitte, dass wir in diesem Zusammenhang von gut tausend Franken sprechen. Man könnte doch zum Beispiel, wenn es viele Chemiker braucht, die entsprechenden Studiengebühren erlassen und andere dafür ein wenig erhöhen. 

Und wenn in fünf, sechs Jahren dann hunderte Chemiker auf einem längst wieder veränderten Arbeitsmarkt keinen Job finden?

Schon klar, diese Gefahr besteht. Dennoch müssen wir über die Grundfrage nachdenken. Dass das Interesse gross ist, zeigt mir das Echo im Internet, wo Hunderte Teilnehmer meinen Vorschlag für einen Numerus clausus auf sehr hohem Niveau und beeindruckend fair diskutierten. 

Stärker in Gefahr als die naturwissenschaftlichen Fächer sind in der Volksschule die «weichen» Fächer wie Handarbeit, Singen, Zeichnen, Turnen, Sprachen. Sie stehen unter Spardrohung, obwohl sie doch der vielzitierten ganzheitlichen Entwicklung der jungen Menschen dienen.

Mit dieser Frage sprechen Sie mir aus dem Herzen. Gerade in der Diskussion um den Lehrplan 21 setze ich mich mit aller Kraft dafür ein, dass man diese wichtigen Fächer nicht über Bord kippt. Aber Sie müssen sich vorstellen, dass es dabei zugeht, als zerrten zehn Leute rund um einen Tisch am Tischtuch, jeder auf seine Seite. Die einen wollen Chinesisch, die andern mehr Englisch, die dritten mehr Sport und die vierten viel mehr Musik. Aber Sie haben völlig recht, wir müssen dafür kämpfen, dass in der Schule das Gemüt nicht aus einem falschen Modernisierungswillen heraus zu kurz kommt. Für mich gilt nach wie vor Pestalozzis «Kopf, Herz und Hand».