Aktuelles / Notizen

12.06.2013

GENERATION INDOOR


Mangelnde Bewegung bei Kindern

Eltern wollen Kinder nicht nach draussen lassen

Kinder verbringen kaum Zeit im Freien. Nun schlägt ein Experte Alarm: Der fehlende Aufenthalt in der freien Natur führe zu psychischen Erkrankungen und zu Schäden am Bewegungsapparat.

Videogames statt Seilhüpfen: Wie das «St. Galler Tagblatt» berichtet, gestalteten Kinder heute nur noch 25 Prozent ihrer Freizeit im Freien – vor 60 Jahren waren es noch 75 Prozent. Die Gründe sieht der pensionierte Neuropädiater und Kinderarzt Markus Weissert im erhöhten Medienkonsum der Kinder und im Verhalten vieler Eltern: «Eltern haben Angst, ihre Kinder ins Freie zu lassen. Sie sind häufig richtig neurotisiert und sehen überall Gefahren. Zusätzlich ist die Freizeit vieler Kinder straff durchorganisiert.» Einen weiteren Faktor sieht Weissert in der Herkunft. So hätten vor allem Migranten aus dem Balkan kaum Erfahrung mit dem Aufenthalt im Wald und hielten ihn sogar für etwas Bedrohliches.

Die Entwicklung hin zu einer «Generation Indoor» ist für Weissert bedenklich: «Das Spielen in der Natur ist wichtig für die Entwicklung des Gehirns. Es fördert die Kreativität, die Aufmerksamkeit, das Selbstbewusstsein und die soziale Kompetenz.» Ausserdem sei es für die Gesundheit und die Ausbildung der motorischen Fähigkeiten extrem schädlich, wenn die Kinder nur zu Hause rumsässen. «Viele spielen nur Videogames und können nicht mal mehr einen Purzelbaum schlagen. Später müssen sie dann in eine Therapie», so Weissert. Überhaupt sieht er die Zukunft vieler Kinder vorwiegend in Therapiestellen und Krankenhäusern: «Als ehemaliger Kinderarzt und Neurologe kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Psychische Störungen und körperliche Schäden werden zur Volkskrankheit.»

Betonierte Spielplätze fördern Aggressivität

Vor allem Schulen und Kindergärten können durch Angebote in der Natur einen wichtigen Beitrag in der Entwicklung von Kindern leisten, sagt Weissert. Ganz wichtig sei dabei die Gestaltung der Spielplätze. Diese müssen naturnah sein und den Kindern die Möglichkeiten bieten, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. Denn das Spielen auf asphaltierten, sterilen Plätzen fördere die Aggressivität der Kinder, da sie ihren Stress nicht richtig abbauen können: «Das Herumtollen auf einer grünen Wiese oder ein Parkspaziergang hingegen sind etwa gleich wirkungsvoll wie eine Dosis Ritalin», so Weissert.

Bei den kantonalen Bildungsdirektionen hat man das Problem erkannt. Gemäss Peter Wittwer, Sprecher des Erziehungsdepartements Basel-Stadt, sollen Kinder einen rechten Teil des Unterrichts im Freien geniessen können. «Zusätzlich ist es gerade bei Stadtkindern wichtig, dass sie nicht den ganzen Tag auf betonierten Spielplätzen spielen müssen. In der Stadt ist dies aber nicht immer so einfach.» Auch im Kanton Zürich wird der Unterricht im Freien gefördert. «Aussenräume wie Wald und Wiese sind ein idealer Ort für Bewegung und für soziale Beziehungen. Deshalb ist es angebracht, den Kindern derartige Umgebungen anzubieten, Waldtage und Naturexkursionen zu veranstalten», sagt Urs Meier, Abteilungsleiter der Bildungsdirektion des Kantons Zürich.

Problem noch lange nicht gelöst

In eine ähnliche Richtung zielt Johannes Kipfer von der Abteilung Volksschule des Kantons Bern: «Der Kanton unterstützt ausserschulische Lernorte und setzt sich dafür ein, dass die Kinder die Natur nicht nur aus Lehrmitteln kennenlernen.» Weiter würden viele Schulen gemeinsam mit den Kindern die Spielplätze in den Schulhäusern und Kindergärten möglichst attraktiv gestalten. Die Rückmeldungen der Eltern und Kinder seien dabei meist positiv.

Solche Aussagen hört Markus Weissert zwar gerne, trotzdem ist das Problem für ihn noch lange nicht gelöst: «Viele Kinder haben keinen Bezug mehr zur Natur. So werden sie auch nie mit Gefahren konfrontiert und lernen nicht, damit umzugehen.» Wenn sie dann erwachsen seien, könnten sie keine Risiken einschätzen und würden Base-Jumpen gehen.

(Quelle: 20min)