Aktuelles / Notizen

16.12.2013

Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“


Haltung der Kantone

Nein zur Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ 

Haltung der Kantonsregierungen, 13. Dezember 2013 

Zusammenfassung 

Die Kantone sprechen sich gegen die Volksinitiative aus, da sie nicht nur die Personenfreizügigkeit mit der EU auf’s Spiel setzt, sondern die gesamte Europapolitik der Schweiz der vergangenen 20 Jahre in Frage stellt. Die Volksinitiative gefährdet ausserdem den Wohlstand der Schweiz, der wesentlich auf dem dualen Zulassungssystem basiert. 

1. Bekenntnis zur schweizerischen Migrationspolitik 

1 Die Kantone bekennen sich zur schweizerischen Migrationspolitik, die auf den Pfeilern Wohlstand, Solidarität, Sicherheit und Integration beruht >siehe Fussnote1. Sie unterstützen daher das Freizügigkeitsabkommen mit der EU. 

2 Die Kantone leisten einen wesentlichen Beitrag an die schweizerische Migrationspolitik. Sie gewährleisten die öffentliche Sicherheit und Ordnung und tragen damit zu einer hohen Lebensqualität der Bevölkerung und zur Attraktivität der Schweiz als Wirtschaftsstandort bei. Gleichzeitig fördern und fordern die Kantone die Integration von Zugewanderten. 

2. Zuwanderung als Wirtschaftsmotor 

3 Das duale Zulassungssystem, das einerseits die Personenfreizügigkeit mit EU/EFTA-Staatsangehörigen vorsieht und andererseits die Zuwanderung hochqualifizierter und von der Wirtschaft nachgefragter Arbeitskräfte aus Drittstaaten zulässt, hat sich bewährt. Es sichert und fördert den Wohlstand in der Schweiz. Die Schweiz ist auf eine bedarfsgerechte Zuwanderung angewiesen. 

Fussnote 1 Leitlinien der Kantone zur schweizerischen Migrationspolitik vom 21. Juni 2013:

http://www.kdk.ch/fileadmin/files/Themen/Zuwanderung_und_Integration/Leitlinien_der_Kantone_zur_schweizerischen_Migrationspolitik_d.pdf

4 Die Schweiz kann dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel nicht zuletzt dank des dualen Zulassungssystems begegnen. So sind das Gesundheitswesen, die Tourismusbranche, die Gastronomie, die Landwirtschaft, die Life-Sciences-Branche und weitere Industrie- und Dienstleistungsbranchen längst auf Arbeitskräfte aus der EU/EFTA angewiesen. Ausserdem setzen die Kantone bei der Standortförderung auf eine Qualitätsstrategie, die die Ansiedlung von wertschöpfungsstarken Unternehmen und die Schaffung von hochwertigen Arbeitsplätzen bezweckt. Die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz hängt im grossen Mass mit einem flexiblen und international ausgerichteten Arbeitsmarkt zusammen. Ohne ausreichende Befriedigung der Nachfrage nach Arbeitskräften ergeben sich wirtschaftliche Nachteile. Bei einer Annahme der Masseneinwanderungsinitiative würde zudem die administrative Belastung sowohl für Unternehmen wie auch für die Arbeitsmarkt- und Migrationsbehörden der Kantone und des Bundes zunehmen. 

5 Die Kantone setzen sich gleichzeitig dafür ein, dass das Potenzial der gesamten in der Schweiz wohnhaften Arbeitskräfte – mittels Qualifizierung entsprechend dem Bedarf der Wirtschaft, Innovationen zur Entschärfung der Fachkräfteknappheit, Förderung der Phase vor und nach der Pensionierung (aktives Altern), besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie vermehrter Integration von Sozialhilfebezügerinnen und Sozialhilfebezügern, von bildungsschwachen Menschen und von Menschen mit Behinderungen – besser ausgeschöpft wird. 

6 Zudem bilden die flankierenden Massnahmen, die mit dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU eingeführt wurden und die dessen wirksame Umsetzung garantieren sollen, ein wichtiges Instrument zum Schutz der Erwerbstätigen vor missbräuchlicher Unterschreitung der in der Schweiz geltenden Lohn- und Arbeitsbedingungen. Sie wurden durch neue Bestimmungen ergänzt, die die Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit sowie die Sanktionierung von Verstössen gegen zwingende Lohn- und Arbeitsbedingungen verbessern. Ausserdem wurde im Bauhaupt- und Baunebengewerbe eine verstärkte Regelung zur Solidarhaftung des Erstunternehmers für Lohnverstösse durch seine Subunternehmer eingeführt. Die Kantone sind gemeinsam mit dem Bund und den Sozialpartnern für die Umsetzung der flankierenden Massnahmen zuständig. Die Erfahrungen zeigen jedoch, dass sich die Personenfreizügigkeit nicht in der gesamten Schweiz und in allen Branchen gleich auswirkt: Grenznähe, Wirtschaftsstruktur oder die Grösse der kantonalen Strukturen schaffen unterschiedliche Voraussetzungen. Die Kantone erachten den föderal aufgestellten und dual organisierten Vollzug nach wie vor als wirkungsvollsten Ansatz, da er auf die regionalen Besonderheiten eingehen kann. 

7 Schliesslich fördern und fordern die Kantone zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts die Integration der Zugewanderten. Sie fassen spezifische Angebote wie gezielte Erstinformationen und Beratungen für neu Zugewanderte oder Sprach- und Integrationskurse in ihren kantonalen Integrationsprogrammen zusammen. Ausserdem unterstützen kantonale Integrationsfachstellen nicht nur Zugewanderte, sondern auch Behörden, Schulen, Spitäler und Unternehmen. Ziel der Integration ist das Zusammenleben der einheimischen und ausländischen Wohnbevölkerung auf der Grundlage der Werte der Bundesverfassung und in gegenseitiger Achtung und Toleranz. Die Integration soll die chancengleiche Teilnahme von Ausländerinnen und Ausländern am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der Schweiz ermöglichen. Sie ist ein gegenseitiger Prozess und setzt voraus, dass sich alle – Zugewanderte und Einheimische – dafür einsetzen. 

3. Europapolitische Dimension 

8 Die Annahme der Volksinitiative hätte zur Folge, dass die Schweiz das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU neu verhandeln müsste. Wird eines der Abkommen aus dem Vertragspaket der Bilateralen > Fussnote 2 gekündigt, würden sämtliche Abkommen der Bilateralen I automatisch wegfallen (Guillotine-Klausel). Die Schweiz würde dadurch den privilegierten Zugang zum EU-Binnenmarkt verlieren. 

9 Die Kantone sprechen sich gegen die Volksinitiative aus, da sie nicht nur die Personenfreizügigkeit mit der EU auf’s Spiel setzt, sondern die gesamte Europapolitik der Schweiz der vergangenen 20 Jahre in Frage stellt. 

4. Innenpolitische Herausforderungen 

10 Die Kantone nehmen sich der Herausforderungen in den Bereichen Wohnungsmarkt, Verkehrsinfrastruktur und Raumplanung, die mit der Zuwanderung verstärkt wurden, an und arbeiten dabei eng mit dem Bund zusammen. 

Fussnote 2: Die Abkommen über die technischen Handelshemmnisse, über das öffentliche Beschaffungswesen, über die Landwirtschaft, über den Landverkehr, über den Luftverkehr und über die Forschung.