Aktuelles / Notizen

22.01.2015

Facebook und Co.


Artikel aus shaz von Kevin Brühlmann

Image-Pflege via Facebook und Twitter
Kommentar von Kevin Brühlmann

Da steht er, selbstbewusst, ernst, weltmännisch beinahe, und blickt durch seinen Feldstecher. Irgendwohin, in die Ferne vielleicht oder doch nur bis zum nächsten Baum. Grüne Gummistiefel trägt er, halb steht er im Wasser, umgarnt von Grünzeug. So stellt sich Thomas Minder, parteiloser Schaffhauser Ständerat, auf seinem Facebook-Profil dar (im Fotoalbum 'Privat'). Ein Bild mit kolossaler Symbolkraft, stellt man fest; ganz der Staatsmann eben. Doch viel spannender als eine Bildanalyse dürfte die Frage sein, was der Ständerat damit bezwecken möchte. Überhaupt: Was bewegt Politikerinnen und Politiker dazu, auf Facebook und Twitter aktiv zu sein?

Ist es purer Narzissmus? Schliesslich, glaubt man Experten, sind soziale Medien ideale Podien zur Selbstdarstellung. Pessimistische Gesellschaftskritiker sehen darin sogar den Niedergang der solidarischen Gesellschaft und den Aufstieg der gernegrossen Egozentriker. Das muss man nicht so schwarzmalerisch sehen. Gleichwohl, vermute ich, spielen gewisse narzisstische Elemente eine Rolle, wenn Politikerinnen und Politiker ein Bild von sich ins Netz stellen. Und wahrscheinlich darf man die Wirkung dieser Selbstinszenierung auch nicht unterschätzen.

Man muss allerdings auch einräumen, dass ein gepflegter Internetauftritt heutzutage beinahe schon Pflicht ist für einen Politiker, eine Politikerin. Hierbei können Plattformen wie Facebook und Twitter die Kommunikation ungemein erleichtern. Dennoch stellt sich die Frage: Cui bono? Wem nützt ein Facebook-Account? In erster Linie soll er natürlich der Karriere eines Politikers dienen, ohne Zweifel. Denn eines ist klar: Wahlen gewinnt man, indem Menschen, die von etwas überzeugt sind, andere Menschen überzeugen. Und soziale Medien sind zur Zeit vielleicht das beste Instrument, um Leute zu mobilisieren.

Für den Bürger indes bieten Facebook und Twitter die Gelegenheit, die Volksvertreter besser kennen zu lernen, gewissermassen hinter die Kulissen zu blicken. Ein Selfie aus einer Ratssitzung, das mag spannend sein; ebenso ein Bild einer Politikerin beim Langlaufen, beim Besuch von übergewichtigen Kindern im Abnehm­camp oder bei einem Hardrock-Konzert. Vermeintlich auf Augenhöhe können wir die Bilder liken, teilen und kommentieren. Die streng hierarchischen, Jahrzehnte alten Machtstrukturen zwischen Otto Normal und dem Homo Politicus scheinen komplett aufgebrochen zu sein.

Das ist jedoch purer Aberglaube. Und damit sind wir beim Kern der Sache: Das Verhältnis zwischen Politikern und dem Publikum ist genauso einseitig wie vor dem Social-Media-Hype. Vielleicht sogar noch einseitiger, denn Twitter und Facebook bieten den Politikerinnen und Politikern die Möglichkeit, ihr Image selbst zu gestalten, zu bestätigen und zu festigen – ohne den beschwerlichen Umweg über kritische Medien in Angriff nehmen zu müssen.

Das ermöglicht eine gewaltige Kontrolle über das eigene Image; und es bedeutet auch, dass wir Nutzer selbst die Rolle der kritischen Medien einnehmen müssen, weil diese Filterung in den sozialen Netzwerken fehlt. Denn gegen einen hinterfragenden, zweifelnden Geist bleibt selbst das Posieren mit Gummistiefeln, Grünzeug und Feldstecher eine nutzlose Waffe. 

Ein Selfie für das Volk

Kevin Brühlmann

Über das 'Asylchaos' ablästern, ein Selfie beim Joggen knipsen, sich über 'telefonierende, dunkelhäutige Bahnreisende' beschweren: Wir begeben uns auf die Suche nach den digitalen Fussabdrücken, die Schaffhauser Politikerinnen und Politiker auf Facebook, Twitter und Co. hinterlassen.

Wussten Sie, dass Regierungsrätin Ursula Hafner-Wipf Fan von Steven Spielbergs Klassiker 'E.T.' ist? Oder dass die 'politische Einstellung' von Ständerat Thomas Minder lautet: 'Hohe Nachhaltigkeit und Weitsichtigkeit – Ðgouverner c'est prévoirð'? Und dass Stadtpräsident Peter Neukomm ein Anhänger des filigranen Tiki-Taka-Fussballs des FC Barcelona ist?

Soziale Medien wie Facebook und Twitter, denkt man, lassen die Politik transparenter und deren Amtsträger volksnäher, greifbarer erscheinen. Der homo politicus will zur Marke avancieren; der Fokus rückt vom Politischen nicht selten ins Private. Und umgekehrt nutzen Politikerinnen und Politiker die Netzwerke, vorab Twitter und Facebook, um 'die Temperatur beim Volk zu fühlen', wie dies Thomas Minder formuliert. Doch nicht nur das, der parteilose Ständerat opfert sich hiermit auch, als digitaler Winkelried gewissermassen, um der Allgemeinheit willen. 'Die Meinungsfreiheit', erklärt er, 'steht bei mir ganz weit oben.' So biete er seine Facebookseite auch 'als Ventil für die Nutzer' an, um Dampf abzulassen, sich abzureagieren; dabei gehe es 'drunter und drüber'. Und wahrlich, das ist noch untertrieben. Seine gut 4'800 Freunde toben sich regelrecht auf seiner Seite aus, befeuert von Minders Einträgen selbst, die Wutbürgern eine Steilvorlage bieten.

Von 'Pfui!' bis 'Goht's no?!'
Minders Lieblingsthemen sind (in beliebiger Reihenfolge): '(Massen-)Einwanderung', 'Überbevölkerung' und 'Asylchaos', Kritik am 'volksfernen Bundesbern', am Sozialstaat und an der EU, 'Islamisierung' und 'Zubetonierung'. Dies alles garniert mit emotional aufwühlenden, empörten Wendungen wie 'Pfui!', 'Goht's no?!', 'Aufwachen!' oder 'der Steuerzahler zahlt ja alles'. Stolz erzählt Minder von einem Post zur Masseneinwanderungsinitiative, der über 1'300 Mal kommentiert worden sei.
So ungefiltert affektiv Minders Inhalte auf Facebook sind, eines steht doch fest: Punkto soziale Medien spielt der Ständerat, blickt man durch die Runde der Schaffhauser Politikerinnen und Politiker, in einer eigenen Liga. Während sein Fraktionskollege, SVP-Ständerat Hannes Germann, auf keinem Netzwerk vertreten ist, folgen Thomas Hurter (SVP), Nationalrat, gut 130 Leute auf Twitter; einen Tweet von ihm sucht man allerdings vergeblich.

SP-Nationalrätin Martina Munz kommt immerhin auf 530 Facebook-Freunde und knapp 300 Follower auf Twitter. 'Kurz und bündig eine aktuelle Stellungnahme zu twittern', findet Munz, 'ist attraktiv, wenn es etwas Politisches zu kommentieren gilt.' Überdies diene ihr Twitter auch als Informationsquelle und Stimmungsbarometer. Facebook nutze sie weniger, und Homestories seien ihr überhaupt zuwider. Privates will Munz nicht veröffentlichen.

Doch wie nutzen die restlichen Schaffhauser Politikerinnen und Politiker sozia­le Netzwerke? Wagt man sich hier auf den glatten Boden von Facebook und Twitter? Gewiss, lautet die Antwort, gewiss getraut man sich das. Um dem Souverän näher zu kommen, bleibt schliesslich kaum etwas unversucht.

So berichtete zum Beispiel Harald Jenny, bis Ende des letzten Jahres noch Präsident der Schaffhauser FDP, auf Facebook von seinen alltäglichen Zugreisen. 'Dabei fallen mir die vielen stundenlang (nicht übertrieben!) telefonierenden dunkelhäutigen Bahnreisenden auf – oft mit besseren Telefonen als meinem', schrieb Jenny im Dezember. 'Warum komme ich mir ausgenutzt vor?' Des Weiteren fragte er sich, ob die 'Sozialkosten unter anderem deswegen explodieren, weil die Flüchtlinge in unserem Land zu viele Mittel und Zugeständnisse erhalten?'

Mit dieser persönlichen Botschaft, mitten aus dem gemeinen, zugfahrenden Volk heraus, platzierte sich Jenny selbst in dieses Milieu, um zu sagen: Schaut, ich bin einer von Euch, ein Volksvertreter im echten Sinne des Wortes – obwohl nie in ein politisches Amt gewählt. Blöd nur, dass er danach mit Rassismusvorwürfen konfrontiert wurde und den Eintrag löschte. 'Wenn man solche Beobachtungen macht, fragt man sich einfach, ob hier ein Zusammenhang besteht', lässt er sich später in den 'SN' zitieren. Er sei nämlich 'nicht der Einzige, der sich diese Frage stellt'.

Andersrum lässt sich aus den sozialen Medien auch schliessen, wer die 'volksnächste' Politikerin, der 'beliebteste' Politiker ist, so gnadenlos ehrlich und paradox sind diese Seiten. Oder, auch das ist möglich, wer sich am meisten aufdrängt oder am besten präsentiert.

König der sozialen Medien
Im Regierungsrat ist dies mit grossem Abstand Erziehungsdirektor Christian Amsler (FDP). Mit 2000 Freunden auf Facebook und 575 Twitter-Followern ist er ohnehin der Schaffhauser König der sozialen Netzwerke, abgesehen von Thomas Minder natürlich. Da haben Ursula Hafner-Wipf (366 Facebook-Freunde), Ernst Landolt, Rosmarie Widmer Gysel und Reto Dubach deutlich das Nachsehen (die drei besitzen weder einen Facebook- noch einen Twitter-Account).

Dass es Amsler zum Prädikat 'König' reicht, verdankt er neben der hohen Aktivität nicht zuletzt seiner goldenen Regel 'Denken – Schreiben – Denken – Drücken', ein Grundsatz, den er sich vor jedem Post zu Herzen nehme, wie er selbst sagt. Ungewöhnlich viel Privates ziert dabei Amslers digitalen Fussabruck; sein Porträt ist omnipräsent auf seiner Facebookseite. 'Ich will als Mensch gesamtheitlich mit meinen privaten Seiten wahrgenommen werden', erklärt er seine Strategie, 'und nicht nur allein als Politiker. Ich sehe keinen einzigen Grund, dies nicht zu tun.' Man erfährt auf seinen Accounts, dass er das Buch 'Leitfaden: Social Media in der Schule' gelesen hat, Melanie Oesch mag, und dass er 'Bildungspolitiker', 'Jazz-Hobby-Pianist' und 'Wildbienenfan' ist.

Und dann sieht man ihn, schwitzend, ein violettes Stirnband um den Kopf, wie er durch den herbstlichen Wald läuft, im Herbst 2014, als er den Kanton in zwölf Etappen joggend umrundete (und akribisch genau auf Facebook dokumentierte). Man bekommt mit, wie er sich beim Kantonalmusiktag in Stein am Rhein mit zwei jungen, hübschen Damen im roten Abendkleid ablichten lässt. Oder wie er ein Selfie von sich und seiner Frau Liliane knipst, als sie im August das Festival Stars in Town besuchten. Manchmal schafft's auch Amslers Hündin Nanda, die ein eigenes Facebook-Profil besitzt, mit auf seine Bilder. Dann steht da zum Beispiel: 'Herrliche Schneeschuhtour mit Golden Retriever Nanda über den tief verschneiten Reiat', daneben ein Selfie des Erziehungsdirektors, verschmitztes Lächeln, schwarze Mütze, leicht zusammengekniffene Augen – die Schneelandschaft blendet.

Eher anbiedernd denn echt
Nutzen im Regierungsrat nur zwei von fünf Mitgliedern soziale Netzwerke, sind es im Kantonsrat immerhin über die Hälfte, 32 von 60. Dabei fällt auf, dass städtische Politikerinnen und Politiker tendenziell eher einen Facebook- oder Twitter-Account besitzen als solche aus ländlichen Wahlkreisen. Und besonders präsent sind jüngere Volksvertreter – egal ob von der AL, der jungen SVP, den Jungfreisinnigen oder der Juso. Den Rekord hält hier Florian Hotz (JFSH) mit 1'750 Facebookfreunden.

Ähnlich verhält es sich beim Grossen Stadtrat (23 von 36 besitzen ein Facebook-Profil). Auch dort haben die Politikerinnen und Politiker die sozialen Medien längst für sich entdeckt. Die Nutzung hält sich jedoch grösstenteils in Grenzen. Die meisten Profile sind ohnehin privater Natur. Und die Versuche, ans Volk zu gelangen, sind oftmals holprig inszeniert; selten wirken sie authentisch, meist eher anbiedernd.

Man erkennt: Im Bereich der sozialen Medien liegt für die Schaffhauser Politik noch viel Potenzial brach. Nur wenige pflegen ein öffentliches Profil. Auf der anderen Seite stellt sich allerdings auch die Frage, wieviel Privates ein Politiker preisgeben möchte. Selfies fürs Volk sind gewiss nicht jedermanns Sache. 

Schaffhauser Arbeiterzeitung az vom 22. Januar 2015