Aktuelles / Notizen

05.11.2016

Erziehungsrat zur Volksinitiative


Lehrpläne vors Volk

Volksinitiative «Ja zu Lehrpläne vors Volk» vom 27. November 2016

Stellungnahme des Erziehungsrats

Hand aufs Herz: Würden Sie es als Stimmbürger oder Stimmbürgerin schätzen, wenn Sie sich bei einer Abstimmung mit einer 470-seitigen Vorlage befassen müssten? Das könnte der Fall sein, wenn am 27. November die Initiative mit dem Titel «Ja zu Lehrpläne vors Volk» angenommen würde. Diese schlägt vor, dass nicht wie bisher der Erziehungsrat über den Lehrplan befinden soll, sondern das Kantonsparlament. Könnten sich die Politiker nicht einigen, käme der Lehrplan vors Volk.

Grundsätzlich freuen wir uns über das Interesse der Bevölkerung an Bildungsfragen. Es zeigt sich immer wieder, dass unsere Volksschule ihren Namen zu Recht trägt! Bei der vorliegenden Initiative jedoch sind unsere Gefühle gemischt. Die Initiative drückt indirekt aus, dass der Kantonsrat misstrauisch gegenüber dem Erziehungsrat sein sollte – einem Gremium nota bene, das er selber wählt. Ein Gremium, in dem vier Lehrervertreter und sechs Vertreter von Parteien sitzen (2 SVP, 2 FDP, 1 SP, 1 ÖBS).

Was also bewegt die Initianten, dem Erziehungsrat eine seiner ureigensten Aufgaben wegnehmen zu wollen? Dass der Erziehungsrat in Zukunft den Lehrplan selber erstellen soll (Art. 100 neu), wie dies die Initiative vorsieht, kann ja wohl nur als Scherz gemeint sein. Lehrpläne werden weiterhin von Lehrpersonen und Fachdidaktikern geschrieben werden. Wird die Initiative angenommen, geht ein neuer Lehrplan von den Autoren direkt an den Kantonsrat.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass mit der Initiative die Einführung des Lehrplans 21 im Kanton Schaffhausen verhindert werden soll. Die Schule ist zur Projektionsfläche von Politikern geworden. Nun ist also der neue Lehrplan ins Zentrum gerückt. Um zu rekapitulieren: Der Lehrplan 21 wurde von Lehrpersonen und Fachdidaktikern verfasst. Die Lehrpersonen waren dabei in der Mehrheit. Es fand auch eine breite Vernehmlassung statt. Ist jemand der Meinung, ein solches Werk werde besser, wenn ausschliesslich Politiker entscheiden? Würden diese auch mitreden wollen, wenn es um die Ausbildungsinhalte von Ärzten oder Bauingenieuren ginge? Möge man uns davor bewahren! Beim Lehrplan der Volksschule fühlen sich Politiker aber als Experten – wohl deshalb, weil alle diese Stufe selber einmal durchlaufen haben und das Einmaleins noch kennen.

Dabei ist das Ziel des neuen Lehrplans sehr volksnah: Kinder von Familien, die den Kanton wechseln, sollen nicht wieder von vorn beginnen müssen, weil in jedem Kanton ein anderer Lehrplan gilt. Ist ein einheitlicher Lehrplan nicht besser als 21 verschiedene? Der Alltag von Familien bei einem Kantonswechsel würde mit Sicherheit erleichtert.

Im Schussfeld der Kritiker stehen die viel zitierten Kompetenzen, die ein Markenzeichen des LP21 sind. Kritisiert wird, mit dem LP21 werde unseren Kindern und Jugendlichen in der Schule kein Wissen mehr vermittelt. Was ist denn eine Kompetenz? Nach Franz Weinert ist es die Fähigkeit, Probleme zu lösen, und die Bereitschaft, dies auch zu tun. Kann jemand ernsthaft dagegen sein, dass unsere Schüler in den Schulen Kompetenzen erwerben? Und glaubt jemand wirklich, dies sei möglich, ohne dass die Kinder und Jugendlichen Wissen erwerben? Ohne Wissensvermittlung kein Lernen! Anders gefragt: Sollen Schüler lediglich die Jahreszahl der Schlacht bei Morgarten lernen, oder sollen sie sich nicht auch Gedanken darüber machen, was die Schlacht ausgelöst hat und wie Kriege verhindert werden können?

Lehrerinnen und Lehrer können weiterhin wählen, wie sie unterrichten wollen. Der Lehrplan schreibt keineswegs eine Methode vor. Der Lehrplan 21 beschreibt lediglich den Stoffplan und die Ziele. Lehrpersonen werden nicht zum Coach degradiert, wie ständig von den Kritikern behauptet wird. Der neue Lehrplan umfasst auch gleich viele Seiten wie der aktuell noch gültige Schaffhauser Lehrplan. Wie sagte schon Johann Wolfgang von Goethe: «Getretner Quark wird breit, nicht stark.» Behauptungen werden nicht wahrer, indem sie immer wieder vorgetragen werden.

Der Schaffhauser Erziehungsrat hat am 6. Mai 2015 in einem Grundsatzbeschluss die Einführung des Lehrplans 21 auf das Schuljahr 2018/2019 einstimmig beschlossen. Im vergangenen Frühjahr fand für alle Volksschullehrpersonen des Kantons eine dreitägige Einführungsveranstaltung statt – eine Veranstaltung, die von den Lehrkräften unisono gelobt wurde. In den Prozess der Erarbeitung und der Einführung dieses Lehrplans wurden viele Ressourcen gesteckt, auch Geld. Das alles wäre umsonst gewesen, wenn die Initiative angenommen würde.

Dann würden wir beim alten Lehrplan bleiben, in dem es z.B. heisst: «Lesen als kognitiver Prozess bedingt eine die Erkenntnis betreffende Grundfähigkeit, also eine das Lesen übergreifende Intelligenzvoraussetzung, die Dekodierfähigkeit als die lesespezifische Fähigkeit, die korrekte Bedeutung von Sätzen schnell zu erfassen, das Lernstrategiewissen, bezogen auf das Lernen aus Texten, und schliesslich das Leseinteresse.» (Sprache, Didaktische und methodische Grundsätze, Lesen) Wollen wir wirklich bei einem Lehrplan bleiben, der so akademisch daherkommt?

Da gefällt uns doch wesentlich besser, was der neue Lehrplan zum gleichen Sachbereich sagt: «Die Schülerinnen und Schüler können wichtige Informationen aus Sachtexten entnehmen.» (Deutsch, 2. Zyklus, Lesen)

Wir vertrauen darauf, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger dieses Kantons aus unserem Sachtext die wichtigsten Informationen entnehmen konnten und die Initiative wuchtig verwerfen. NEIN zur Volksinitiative vors Volk.

Für den Erziehungsrat
Christian Amsler, Präsident