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15.02.2020

Lehrplan 21: Eine erste Zwischenbilanz


Schaffhauser Nachrichten

Lehrplan 21: Eine erste Zwischenbilanz - Beitrag von Mark Liebenberg, SHN 15.2.2020

Die formelle Umsetzung des neuen Lehrplanes in den Schaffhauser Schulen sei geglückt – wenn auch nicht immer ganz reibungslos. Der Kanton zieht ein vorsichtig positives Fazit.

Auf das laufende Schuljahr hin wurde im letzten August der gemeinsame Lehrplan aller Deutschschweizer Kantone auch im Kanton Schaffhausen in Kraft gesetzt. Neu wurde damit die Volksschule in drei Zyklen eingeteilt, es gibt neue Fächergruppierungen, neue Fächerbezeichnungen sowie den Fachbereich «Medien und Informatik», der neu auf allen Stufen in den Unterricht integriert werden musste.

Kein Gesetzbuch sei der Lehrplan 21, sagten im August die Verantwortlichen – sondern ein Kompass. Die Umstellung auf das «kompetenzenorientierte Lernen» sei per se keine grosse Herausforderung für die Lehrkräfte. Was sind nun die Erfahrungen, die man in den Schaffhauser Schulstuben im ersten Halbjahr mit dem neuen Lehrplan gemacht hat?

«Reibungsloser Start ist illusorisch»
Seitens Kanton zieht man zurzeit ein positives Fazit. «Der Anfang ist geglückt», sagt der kantonale Erziehungsdirektor, Regierungsrat Christian Amsler. Die formelle Umsetzung – also neue Stundenpläne, die Lektionentafel und Unterrichtszeiten – habe bestens geklappt. Nun müsse die inhaltliche Arbeit an der Kompetenzorientierung noch reifen.

Neue Fächergruppen und neue Lehrmittel hätten aber schon auch zu Herausforderungen im Klassenzimmer geführt. «Ein reibungsloser Start wäre illusorisch», sagt Amsler. «Am Anfang ist dies immer auch mit Erfolgserlebnissen aber hie und da mit Misserfolgen verbunden.» Er nennt die neuen Fachgruppen, in denen nun erste Erfahrungen gemacht werden: Wirtschaft, Arbeit, Haushalt (WAH) ist neu, ebenso Ethik, Religion und Gemeinschaft (ERG) oder eben der Fachbereich «Medien und Informatik» (siehe Artikel unten rechts). Amsler gibt zu bedenken, dass Unsicherheiten am Start immer auch mit neuen Lehrmitteln zu tun haben. «Verbunden mit dem neuen Lehrplan war auch eine Analyse der Lehrmittelsituation und eine sorgfältige, gestaffelte Einführungsplanung.» Dabei habe man darauf geachtet, dass neue Lehrmittel etappiert eingeführt werden, «damit die Anforderungen an die Lehrpersonen nicht zu konzentriert auftreten.»

Für die Umsetzung des Lehrplanes sind in der Praxis natürlich vor allem die Lehrpersonen und die Schulbehörden vor Ort zuständig. Unterstützt werden diese dabei von der Abteilung Schulentwicklung und Aufsicht des Kantons. Deren Leiter Peter Pfeiffer sagt, es tauchten immer wieder viele Fragen auf, die sich allerdings nicht nur auf den neuen Lehrplan bezögen. «Die Anfragen lassen sich nicht typologisieren, aber eine grosse Herausforderung ist sicherlich das Fach «Medien und Informatik.›»

Man befinde sich mitten in der Implementierungsphase, die sich bis 2025 erstreckt, gibt der Erziehungsdirektor zu bedenken. Schon vor zwei Jahren haben spezifische Weiterbildungsprogramme für die Lehrerinnen und Lehrer im Zusammenhang mit dem Lehrplan 21 begonnen. Dieser Prozess gehe weiter, und dafür ist die Pädagogische Hochschule zuständig und finanziert dies zu einem grossen Teil aus ihrem Weiterbildungsbudget. Dazu kommen lehrplanspezifische Weiterbildungen für die Lehrkräfte zu den neuen Fächern oder den neuen Lehrmitteln, welche der Kanton zahlt.

Die Schaffhauser Volksschule steckt also in vielerlei Hinsicht im Umbruch, und dazu gehört längst nicht nur der neue Lehrplan. In diesem Jahr stehen gleich drei weitere Vorhaben auf der Agenda, die einer komplexen Planung bedürfen.

Ein bunter Strauss an Vorhaben
Erstens ist dies die flächendeckende Einführung von Schulleitungen im Kanton. Dazu wird derzeit eine Vorlage erarbeitet, nachdem der Kantonsrat letztes Jahr eine Motion dazu überwiesen hatte. Die finanzielle Beteiligung des Kantons dürfte damit jene Schulgemeinden entlasten, die bereits das Schulleitungsmodell kennen, oder je nach Ausprägung ein ausgebautes Vorstehermodell kennen, wie die Stadt.

Zweitens ist es die flächendeckende Einführung der integrativen Schulform, die sich der Erziehungsrat auf die Fahnen geschrieben hat. Kinder mit Beeinträchtigungen sollen grundsätzlich statt in Sonderklassen in die Regelklassen integriert werden. Auch hier arbeite man an einer gesetzlichen Verankerung, welche die laufenden Schulversuche ablöst, sagt Amsler. «Hier sind die meisten Schulgemeinden auf freiwilliger Basis schon recht weit fortgeschritten.» Basis seien die in anderen Kantonen gemachten Erfahrungen, das Behindertengleichstellungsgesetz und eine stärkere Zusammenarbeit der Kantone im Bereich Sonderpädagogik. «Im Grundsatz sollen integrative Lösungen separativen Lösungen vorgezogen werden», sagt der Erziehungsdirektor.

Und schliesslich war es vor Beginn des jetzt laufenden Schuljahres der Lehrermangel, der vielen Schulgemeinden zu schaffen machte. Stand gestern waren auf der Stellenplattform des Kantons über 70 Lehrerstellen ausgeschrieben – die allermeisten auf das nächste Schuljahr im August 2020 hin, darunter immerhin gut 20 Vollzeitpensen auf Kindergarten-, Primar- oder Sekundarstufe. Inwiefern es gelingt, dass eine vom Kantonsparlament gesprochene Lohnerhöhung für das Staatspersonal insbesondere auch den Lehrerberuf für jüngere Lehrkräfte und Berufseinsteiger attraktiv macht, bleibt vorerst offen.

«Medien & Informatik»: Was jetzt auf die Schulhäuser zukommt
Es ist, wie wenn ein Werklehrer seiner Klasse Werken beibringen möchte – aber nur einen alten Kasten mit ein paar Werkzeugen zur Verfügung hat: So geht es zurzeit den Lehrkräften in manchen Schaffhauser Schulhäusern, die das neue Fach «Medien und Informatik» unterrichten sollen, das seit Sommer in allen Schulstufen Pflicht ist. In vielen Schulgemeinden hapert es aber noch mit der technischen Infrastruktur. Hat zum Beispiel die Gemeinde Neuhausen im Sommer rund 160 Notebooks und Tablets angeschafft, fehlt es in anderen Schulgemeinden an einer adäquaten Ausrüstung, mit welcher die Schüler die vorgeschriebenen Kompetenzen mit digitalen Hilfsmitteln erwerben könnten.

Mit dem Lehrplan 21 hat der Kanton auch ein auf das neue Schulfach zugeschnittenes Informatikkonzept für die Volksschule verabschiedet. Vorderhand bleibt die Rolle des Kantons aber auf die fachliche Begleitung beschränkt. Der Lehrplan schreibt Kompetenzen in der Programmierung, in der Medienbildung und in der Anwendung digitaler Technologie vor. Letzteres, die Anwendung, soll fächerübergreifend stattfinden, also etwa auch in Mathematik, Deutsch oder Fremdsprachen. Wie genau die Geräte im Unterricht eingesetzt werden, ist nicht starr vorgeschrieben.

In seinem Informatikkonzept hält der Kanton fest, dass bis 2024 jeder Schüler ab der fünften Klasse ein mobiles Gerät besitzen soll. Die Umsetzung ist Sache jedes Schulhauses und die Finanzierung liegt in der Verantwortung der Schulgemeinden. Erziehungsdirektor Christian Amsler bestätigt: «Es gibt Gemeinden, die viel investieren müssen und andere, die sich den Anforderungen gestellt und ihre Schulinfrastruktur à jour gehalten haben.» Neuhausen will in den kommenden Jahren rund 200'000 Franken wiederkehrend investieren. In der Stadt rechnet man für das laufende Jahr mit einem Betrag von einer Million Franken.

Das letzte Wort über die Finanzierung ist aber noch nicht gesprochen. In einem Vorstoss im Kantonsrat hat der städtische Bildungsreferent Raphaël Rohner angeregt, dass sich der Kanton an der «massiven Kostensteigerung» für die Infrastruktur beteiligt. Dazu gehören nicht nur die Geräte sondern auch die Kosten für die Installation von WLAN, Beschaffung von Routern, interaktive Wandtafeln sowie der Lizenzen für digitale Lehrmittel. (lbb)

«Viele Gemeinden scheinen überfordert»

Patrick Stump, Co-Präsident Lehrerinnen und Lehrer Schaffhausen (Lehrerverein)
 

Herr Stump, wie sind die Lehrkräfte im Kanton mit dem neuen Lehrplan bislang zurande gekommen?

Patrick Stump: Wir sind damit gut unterwegs. Es ist ein laufender Prozess, und wir Lehrpersonen erhalten jene Schulung und Weiterbildung, die wir benötigen. Wir haben bisher eigentlich keine negativen Rückmeldungen erhalten.

Es gibt keine offenen Fragen?

Am ehesten bei der Einführung neuer Lehrmittel. Da stellen sich immer Fragen wie: Sind die gut, gibt es allenfalls noch bessere Lehrmittel? Wie muss man das strukturieren? Denn grösstenteils haben wir noch die alte Einteilung von Unterstufe und Mittelstufe, und die neuen Lehrmittel richten sich nach den neuen Zyklen. Das gibt Schnittstellen, die wir jetzt halt anschauen müssen. Das ist aber nichts, was uns vor allzu grosse Herausforderungen stellen würde.

Wie gehen die Lehrer mit dem neuen Fach «Medien und Informatik» um?

Auch hier ist eigentlich alles vorhanden, mit einer grossen Ausnahme, die aber nichts mit dem Lehrplan als solches zu tun hat. Die Ausrüstung, die Geräte! Da sind die verschiedenen Schulgemeinden noch sehr unterschiedlich bestückt. Die einen wie Neuhausen haben gross aufgerüstet, andere wie die Stadt sind erst in einer Evaluationsphase und noch lange nicht so weit.

Heisst das, man kann das Fach dort gar nicht richtig unterrichten?

Nicht wirklich, man kann ­natürlich theoretisch unterrichten, erklären, was ein Algorithmus ist, wie ein Computer funktioniert. In Schulen gibt es ja meist schon Medienräume mit alten Desktop-Computern. Das kantonale Informatikkonzept schreibt aber eigentlich vor, dass die Schulen gewisse Standards erfüllen sollten, eben Tablets oder Notebooks für die Schüler anschaffen müssten. Viele Gemeinden scheinen damit aber überfordert zu sein. Die Verantwortung wird jetzt ein wenig hin und her geschoben. Es könnte gut sein, dass es ein paar Jahre geht, bis in allen Gemeinden identische Voraussetzungen herrschen. Das ist aus unserer Sicht nicht optimal.

Wie diese Geräte eingesetzt werden sollen, liegt im Ermessen der einzelnen Lehrkraft. Ist dies hilfreich?

Unter den gegebenen Umständen ist dies vielleicht gerade gut so. Es gibt ja einen wahren Glaubenskrieg unter Experten darum, wie die neuen Technologien im Unterricht eingesetzt werden sollen oder nicht. Da halten wir Lehrer uns lieber raus. Die Methodenfreiheit erlaubt es uns, selbst zu entscheiden, wo wir die Geräte im Unterricht sinnvoll einsetzen können.

Interview: Mark Liebenberg