Aktuelles / Notizen

04.11.2012

Bildungsinterview in der Sonntags-Zeitung


Der neue D-EDK Präsident (ab 1.1.2013) zu Bildungsfragen


Christian Amsler, zukünftiger Chef Erziehungsdirektoren, über Uni und Matur-Quote

Von Seraina Kobler, Sonntags Zeitung, Ausgabe 4. November 2012

Schaffhausen Der Schaffhauser FDP-Regierungsrat Christian Amsler wird als neuer Präsident der Konferenz der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren (D-EDK) zur wichtigsten Figur in der Deutschschweizer Schulbildung. Ab dem ersten Januar 2013 wird er Regierungsrätin Regine Aeppli (SP, ZH) ablösen. Die Einführung des Grossprojekts Lehrplan 21 (LP 21) im Herbst 2014 wird in Amslers Amtszeit fallen.

Über den neuen LP 21 wird heftig gestritten, bevor er überhaupt fertig ist. Sie leiten die Steuergruppe. Da haben Sie sich viel Verantwortung aufgeladen.

Ja. Quasi über Nacht bin ich zum «Mister Lehrplan» geworden. Nächstes Jahr bringen wir eine zweite Entwurfsfassung in die Vernehmlassung. Um den Lehrplan ins Ziel zu bringen, braucht es jemanden an der Spitze, der das Projekt mit Herzblut vertritt.

Selbst die NZZ monierte jüngst, der Lehrplan erinnere eher an einen Geheimplan. Haben Sie die Öffentlichkeit zu wenig transparent informiert?

Nein. Bis jetzt konnte man in die Küche schauen, nicht aber in die Töpfe. Das ist gewollt so. Im ersten Teil arbeiten Fachleute. Nächstes Jahr wird es dann für die breite Öffentlichkeit konkret. Eine frühere Veröffentlichung hätte nur zu noch mehr Unruhe geführt. 

Warum?

Wir wollten einen pädagogischen Schwerpunkt setzen. Die Medien und politischen Parteien haben die Bildung entdeckt, um mit ihr gesellschaftliche Fragen zu thematisieren. Das ist heikel. Man muss die Schule wieder in Ruhe arbeiten lassen. 

Im Zusammenhang mit dem Lehrplan wurde auch über den Sexualkundeunterricht gestritten. Gehört er Ihrer Ansicht nach in die Schule?

Die Sache ist ja eigentlich vom Tisch. Grundsätzlich ist Aufklärung Sache der Eltern. Es muss aber den Lehrerpersonen freistehen, das Thema mit den Kindern altersbezogen zu behandeln. Man darf Kinder damit nicht allein lassen. Klar ist aber jetzt schon: Es wird kein Fach Sexualpädagogik geben. 

Die SVP kritisiert den LP 21 als teuer und unnötig. Könnte das Projekt durch ein Veto der heute sechs SVP-Erziehungsdirektoren gekippt werden?

Das glaube ich nicht. Wir Erziehungsdirektoren diskutieren parteiunabhängig und sachbezogen. 

Lehrmeister klagen, dass der Bildungsrucksack der Schulabgänger immer dünner wird. Stimmen Sie zu?

Bei den mathematisch-technischen Fächern besteht tatsächlich dringender Handlungsbedarf. Die Fähigkeiten der Schüler müssen verbessert werden. Generell ist die Schule jedoch zu einer Art Tischtuch verkommen, an dem von allen Seiten gezerrt wird. Alle wollen noch etwas in den Schulstoff reinpacken. Da muss man irgendwann auch Stopp sagen. Denn unsere Schulen sind gut. 

Wer nicht richtig vorbereitet ist, findet keine Lehrstelle. Wie sieht die Situation auf dem Lehrstellenmarkt aus? 

Problematisch, denn der handwerkliche Nachwuchs fehlt. Wir haben zurzeit rund 20 500 Lehrstellen im technischen Bereich. Es stehen dafür aber nur 15 000 Jugendliche zur Verfügung. Insgesamt haben wir 77 000 Schulabgänger, die 81 000 Lehrstellen gegenüberstehen. Statt eines Kampfs um die Lehrstellen wird es einen Kampf um die Lehrlinge geben. 

Wo sehen Sie ein Potenzial für mehr Nachwuchs in technischen Berufen?

Bei der Berufswahl gibt es noch immer einen «Gender-Gap». Frauen und Mädchen müssen wir besser an die Technik heranführen. 

Bundesrat Johann Schneider-Ammann forderte kürzlich «weniger, dafür bessere Maturanden». Bedeuten mehr Maturanden tatsächlich höhere Jugendarbeitslosigkeit?

Ja. Wir haben schweizweit eine Maturitätsquote von 20 Prozent. Hinzukommen 13 Prozent Berufsmaturandinnen und -maturanden. Zusammen sind das 33 Prozent. Diese Quote darf nicht weiter massiv ansteigen. Dies kann eigentlich nur über Zugangssteuerung geschehen. Ansonsten könnte Jugendarbeitslosigkeit wie in Frankreich oder Spanien drohen. 

Dort sind auch viele Jungakademiker arbeitslos. Was soll die Schweiz daraus lernen?

Ein ganz heisses Eisen sind Studiengänge, mit denen Absolventen keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. So etwa Ethnologie und Soziologie in den Geisteswissenschaften oder ganz aktuell bestimmte Spezialisierungen in den Wirtschaftswissenschaften. Warum soll man hoch spezialisierte Finanzexperten im Investment-Bereich ausbilden, wenn dort die Stellen abgebaut werden?

Das könnte das Aus für gewisse Studiengänge bedeuten. 

Ich bin für ein umfassendes Studienangebot. Trotzdem müssen wir uns ernsthaft fragen, ob wir uns dieses volkswirtschaftlich leisten können. Eine Zulassungsbeschränkung für unrentable Studienrichtungen wäre denkbar. Eine andere Variante wäre, potenzielle Studenten unmissverständlich über die Arbeitsmarktchancen aufzuklären. Wichtig dabei ist: Das Bildungsangebot muss nachhaltig angelegt sein, die Politik soll aber je nach Wirtschaftslage regulativ eingreifen können. 

Viele Kantone schnallen den Gürtel enger. Was sind die Folgen dieser Sparpakete für die Bildung?

Niemand spart gerne bei der Bildung. Man kommt aber nicht darum herum. Es werden weitere Sparpakete auf die Kantone zukommen. Die diesjährigen waren erst die Spitze des Eisbergs. 

Sie haben im Kanton Schaffhausen eine Wochenstunde gestrichen. 

Wenn man Millionen sparen muss im Bildungswesen, dann kann man das nur bei den Lehrer-Pensen tun. Der einzige Trost ist, dass als Folge der Sparpakete der Lehrermangel entschärft wird. 

Weniger Stunden, weniger Zeit zur Förderung der Schüler. Gerät die Qualität der Schule dadurch nicht in Gefahr?

Nein überhaupt nicht. Wir klagen auf einem sehr hohen Niveau. Im Vergleich zum Ausland geht es uns sehr gut. Ausserdem kann die fehlende Stunde teilweise in anderen Fächern kompensiert werden.

Amsler über die Entdeckung der Bildung durch die Parteien: «Man muss die Schule wieder in Ruhe lassen»Foto: Martin Rütschi/Key

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Quelle: http://www.sonntagszeitung.ch