Aktuelles / Notizen

27.01.2014

Gast-Artikel in der NZZ zum Lehrplan 21


von RR Christian Amsler

> Artikel als Dokument [PDF]

Hinweis: Erstveröffentlichung in der Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) von Montag, 27. Januar 2014

So geht es weiter mit dem Lehrplan 21

msc. Nach dem Ende der Konsultationsphase analysieren nun die Lehrplan-Macher die eingegangenen Rückmeldungen. Diese Analyse soll in einen Bericht münden, der im Frühjahr publiziert vvird. Anschliessend folgt die Überarbeitung des Lehrplans 21. Das Ausmass der Revision wird darüber bestimmen, wann die definitive Version des gemeinsamen, von 21 Kantonen getragenen Auftrags an die Volksschule vorliegt. "Herbst dürfte es werden, möglicherweise später." Christian Amsler, der verantwortliche Präsident der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz, skizziert in seinem Beitrag, in welcher Art es weitergehL Deutlich wird, dass sich die Verantwortlichen aufgrund der Konsultation grossmehrheitlich in ihrem Vorgehen gestützt sehen.

Die Konsultation zum Lehrplan 21 ist abgeschlossen, die Stellungnahmen liegen auf dem Tisch. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, die teilweise emotionalen Diskussionen zu versachlichen und sich zu vergegenwärtigen, was die Kantone mit dem gemeinsamen Lehrplan erreichen wollen, und zu fragen, welche Anpassungen es dafür braucht.

1. Die Ziele der Volksschule sind zu harmonisieren, wie es die Bundesverfassung von den Kantonen verlangt.

Dieses Ziel ist an sich unbestritten und wird in zahlreichen Stellungnahmen unterstützt. Allerdings meinten Einzelne, dafür brauche es keinen gemeinsamen Lehrplan – das könne man auch auf einem anderen Weg erreichen. Nur: Jede andere Lösung würde bedeuten, dass alle Kantone ihre Lehrpläne je einzeln überarbeiten müssten, was ineffizient und teuer wäre. Andere meinen warnend, ein gemeinsamer Lehrplan sei der Anfang zentralistischer Steuerung und das Ende der kantonalen Bildungshoheit. Das Gegenteil ist der Fall: Können sich die Kantone nicht auf gemeinsame Ziele der Schulstufen einigen, sieht die Bundesverfassung vor, dass der Bund die nötigen Regelungen erlässt. Das wäre dann allerdings ein tiefer Einschnitt in die kantonale Bildungshoheit. Im Rahmen der Entwicklung eines gemeinsamen Lehrplans der Kantone haben alle Kantone volle Mitwirkungsrechte. Sie nehmen durch ihre Vertretungen in der Projektorganisation direkten inhaltlichen Einfluss auf die Erarbeitung des Lehrplans. Sie können am Ergebnis die notwendigen Änderungen vornehmen. Und sie entscheiden in eigener Hoheit, ob sie den Lehrplan im Kanton auch umsetzen wollen.

Nun wird der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz (D-EDK) vorgehalten, ein gemeinsamer Lehrplan verhindere Wettbewerb unter den Kantonen. Diese These enthält die Aussage, dass Wettbewerb unter den Kantonen für die Bildungsqualität der Volksschule förderlich sein könnte. Man darf wohl mit Fug und Recht in Zweifel ziehen, dass Wettbewerb zwischen den kantonalen Schulsystemen zu höherer Schulqualität führt. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass sich die Kantone mit dem Harmos-Konkordat auf Grundkompetenzen im Sinne von Mindestvorschriften geeinigt haben, die dem Lehrplan 21 zugrunde liegen. Es bleibt jedem Kanton frei, höhere Anforderungen zu stellen.

2. Im Fokus stehen nicht Schulreformen, sondern eine behutsame Aktualisierung des Auftrags der Schule.

Die einen erhoffen sich vom Lehrplan 21, dass endlich all das, was sie schon lange an der Volksschule ändern wollen, realisiert werden kann, und die andern befürchten, dass gerade dies geschieht. Die für das Projekt verantwortlichen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren wollen beides nicht. Der Lehrplan 21 soll mit bewährten Unterrichtskonzepten und soweit möglich auch mit bestehenden Lehrmitteln umgesetzt werden können und inhaltlich an die bestehenden Lehrpläne anschliessen. Er schliesst aber auch an neuere fachdidaktische Entwicklungen an, die bereits weit verbreitet in die Unterrichtspraxis Eingang gefunden haben. Was guter Unterricht ist, ändert sich durch den Lehrplan 21 nicht. Die Schule wird nicht auf den Kopf gestellt! Lehrpersonen und Öffentlichkeit wünschen sich keine weiteren Reformen und Experimente mit der Volksschule.

3. Der Auftrag der Schule soll geklärt werden, indem die Ziele in Form von Kompetenzen beschrieben werden.

Dieser Grundsatz wird von einer breiten Mehrheit unterstützt. Es hat fast allen eingeleuchtet, dass Schülerinnen und Schüler das notwendige Wissen erwerben und dieses auch anwenden sollen. Zur Art und Weise, wie dieser Grundsatz umgesetzt wurde, gab es Kritik, die wir ernst nehmen und bei der Überarbeitung berücksichtigen werden. Ein häufig zu hörendes Argument war, die Orientierung an Kompetenzen stehe im Widerspruch zur Vermittlung von Wissen. Belegen sollten dies dann Beispiele, was man alles nicht im Lehrplan finde. Nur: Die jeweils in den Beiträgen genannten Beispiele sind sehr wohl im Lehrplan zu finden. So sind sowohl die Französische Revolution als auch der Tellmythos als verbindliche Inhalte im Lehrplan 21 aufgeführt (RZG 6.2.c bzw. NMG 9.5.g). Auch der Kritik, der Lehrplan fokussiere im Bereich Wirtschaft zu stark auf Konsumfragen, ist zu entgegnen, dass im Lehrplanentwurf u. a. die Themen grundlegende Marktmechanismen (Angebot und Nachfrage, Preisbildung und Preisstabilität, Wettbewerb [WAH 2.1.c], Einflüsse des Staates auf Märkte [WAH 1.3.f], Beschäftigung und Arbeitslosigkeit [WAH 3.1.c] und Wettbewerbsfähigkeit eines Standorts [NMG 6.4.1]) sehr wohl enthalten sind. Man sieht: Eine gute fachliche Wissensbasis ist und bleibt eine elementare und unabdingbare Voraussetzung für Kompetenz und wird im Lehrplan 21 diese Bedeutung behalten. Wir werden im Rahmen der Auswertung die vielen begründeten Rückmeldungen im Einzelnen prüfen, sofern nötig die Gewichtungen verschieben oder gar zusätzlich Inhalte aufnehmen.

Mit der Konsultation wollten wir eine breite Auseinandersetzung mit dem Entwurf des Lehrplans 21 einleiten. Das ist gelungen. Bei der D-EDK sind 160 Stellungnahmen eingegangen. Wenn man dabei bedenkt, dass die eingeladenen Kantone und Verbände jeweils bei ihren Vernehmlassungspartnern bzw. Mitgliedsorganisationen Stellungnahmen eingeholt haben, die in ihre Rückmeldungen eingeflossen sind, dann dürften landauf, landab schätzungsweise weit über 1000 Stellungnahmen verfasst worden sein. Nach einer ersten groben Sichtung der Stellungnahmen lassen sich diese summarisch als «Ja, aber» zusammenfassen: Ja, wir wollen den Lehrplan 21, aber es gibt noch einiges zu tun. Die D-EDK ist sich dessen bewusst und nimmt die Herausforderung an.

Christian Amsler ist Regierungspräsident und Erziehungsdirektor des Kantons Schaffhausen und amtet als Präsident der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz (D-EDK).