Aktuelles / Notizen

27.07.2019

Canyoning Unglück Saxetbach


20 Jahre ist es her

saxetbach

Heute vor 20 Jahren, als ob es gestern gewesen werde. Vor Ort habe ich in Wilderswil das tragische Canyoning Unglück erlebt und dieser Bericht erschien zwei Tage später in den Schaffhauser Nachrichten (29. Juli 1999):

Das Gewitter lag in der Luft, und doch bleibt das Unglück unfassbar - Christian Amsler aus Stetten SH hat die dramatische Rettungsaktion im Berner Oberland aus nächster Nähe miterlebt.

Von Christian Amsler
Dienstagnachmittag, 15.00 Uhr: Bleierne Sommerhitze liegt über dem Berner Oberland. Die Menschen liegen träge am See oder tummeln sich zu Hunderten im Bödelibad in Interlaken. Als wir eine halbe Stunde später mit unseren drei Kindern die Badi verlassen, sprechen meine Frau und ich über das schwere Gewitter, das unserer Einschätzung nach heute noch niedergehen wird. 16.30 Uhr: Mit meinem Sohn spiele ich auf der grossen Wiese vor dem Haus Fussball. Riesige bedrohliche Gewitterwolken türmen sich direkt vor uns über dem Morgenberghorn auf und verfärben sich immer dunkler. Um 17.00 Uhr ist die Luft aufgeladen, gelber Himmel und aufkommender Wind sind untrügliche Vorzeichen eines nahenden Gewitters. Und dann bricht die Hölle auch schon los: Blitz und Donner, Platzregen und Sturm verwandeln den Saxetenbach innert Sekunden zur unentrinnbaren Falle.

Ein paar innovative Jugendliche haben vor ein paar Jahren in unserem Nachbarhaus die Firma «Adventure World» gegründet. Jetzt sind hier nur noch die Büros untergebracht. Längst mussten für die boomenden Sportarten River Rafting, Canyoning, Bungee Jumping und Paragliding grössere Lagerräume her. Schwimmwesten, Schutzhelme, Neoprenanzüge und Schlauchboote brauchen viel Platz. Den dafür benötigten Raum hat die aufstrebende Firma nun im stillgelegten Hallenbad hinter dem Bahnhof gefunden.

18.00 Uhr: Wir rennen durch den Regen zurück in unser Chalet. Ganz in der Nähe des Saxetenbaches, wo das Drama in diesen Minuten seinen Lauf genommen hat. Drei Jogger entdecken bei der Holzbrücke neben der Kirche Gsteig in der hochgehenden Lütschine sieben leblose Körper. Im nahen Restaurant Steinbach schlagen sie Alarm. Es ist der Moment, wo man verständlicherweise auf ein schweres Bootsunglück auf der Lütschine schliesst. Die Lütschine und der Saxetenbach sind auch meine bevorzugten Joggingreviere. Nicht auszudenken, wenn ...
18.25 Uhr: Ein Helikopter der Rettungsflugwacht vom Typ Augusta erscheint und taucht zu einem ersten Rekognoszierungsflug in die Saxetenschlucht. Direkt vor unserem Haus. Das Ausmass der Katastrophe ist uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst. Ein verunglückter Mountainbikefahrer oder ein von der Strasse abgekommenes Auto, vermute ich. Nun ist es aus mit der Ruhe. Hektik bricht aus, ein Feuerwehrauto braust vorbei. Seltsamerweise aber hört man während der ganzen dramatischen Rettungsaktion kein einziges Martinshorn. Die Rega errichtet auf einer Wiese direkt über unserem Chalet eine Basis für die Verletztenflüge. Eine zweite Augusta und eine Alouette III der Air Glacier holen mit den Seilwinden die Verletzten und Toten aus dem Saxetenbach, derweil eine rote Rega-Alouette pausenlos im systematischen Tiefflug die Lütschine und den Saxetenbach nach weiteren Vermissten absucht. Der Rotorenlärm ist enorm.
Das wahre Drama spielt sich aber zur gleichen Zeit im Lütschinendelta neben dem Hafen Bönigen ab. Dort werden mitten im Treibholz die toten Körper der jungen Gäste aus dem Brienzersee geborgen. Genau an der Stelle, wo wir vorgestern abend mit unseren Kindern farbige Kieselsteine aus der Lütschine sammelten. Langsam senkt sich die Nacht übers Berner Oberland. Nun kreisen nur noch die von der Presse gecharterten Kleinhelis über der Unfallstelle am Saxetenbach.

Zu Hunderten sieht man hier in der Region Interlaken die Backpackers auf ihren Entdeckungstouren. Sie logieren oft in der weltberühmten «Balmer's Herberge» oder in «Balmer's Tent» in Matten zwischen Interlaken und Wilderswil. Am Dienstag wurden mindestens 19 junge, hoffnungsvolle Menschen aus aller Herren Ländern durch die Verkettung tragischer Umstände in den Tod gerissen. Es ist geschehen und nun Sache des Berner Untersuchungsrichters, zu entscheiden, ob Fahrlässigkeit zum Unglück geführt hat.
Das Unfassbare ist geschehen. Wilderswil steht unter Schock und mit dem beschaulichen Ferienort wohl auch der Rest der Schweiz.