Aktuelles / Notizen

22.11.2025

JOSEPH BEUYS Ausstellung in Tübingen


Auseinandersetzung mit dem provokativen Düsseldorfer Künstler und Kunstprofessor

JOSEPH BEUYS - BEWOHNTE MYTHEN 08.11.2025 – 08.03.2026 KUNSTHALLE TÜBINGEN 

Das Leben und Werk von Joseph Beuys (1921-1986) ist eng mit der Kunsthalle Tübingen verbunden. Der Künstler war Anfang der 1970er Jahre bis zur Jahrtausendwende nicht nur mehrmals in Ausstellungen in der Universitätsstadt vertreten, seine Werke befinden sich auch in der hauseigenen Sammlung. In den letzten Jahren wurde zunehmend problematisiert, dass das Werk von Beuys stark vom Erlebnis des Zweiten Weltkriegs geprägt ist. In der Rolle des Künstler-Schamanen wollte er für transzendente Dimensionen und die Ganzheit allen Lebens sensibilisieren. Dies verstand er dezidiert als Gegenentwurf zum Krieg, aus der Kunst heraus. Als prononciert ästhetische Reaktion auf die Krisen- und Umbruchserscheinungen hat er eine eigene undogmatische Kunstreligion entwickelt, die neben religiösen Traditionen auch mythologische, volkskulturelle und anthroposophische Elemente mit einbezog. Im November 2025 haben wir diese sehr anregende und spannende Ausstellung zum Werk von Joseph Beuys in der Kunsthalle Tübingen besucht. Hier ein paar Impressionen und Gedanken dazu.

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Im Zeichen eines »erweiterten Kunstbegriffs«: Beuys als Mittler zwischen vormodernen und gegenwärtigen Erfahrungswelten

Beuys hat den Kunstbegriff so nicht nur radikal hin zu einem anthropologisch-gesellschaftlichen Konzept erweitert. Wie kein anderer Künstler des 20. Jahrhunderts hat er vormoderne Vorstellungswelten und Riten in die moderne Gesellschaft integriert, um ein Bewusstsein für die Verbindungen aller Lebewesen zu schaffen. So forderte Beuys bereits in den 1960er Jahren in seinem »Energieplan« eine neue Einfühlung in die Tier- und Pflanzenwelt. Das von ihm solchermassen künstlerisch verbildlichte Bewusstsein für die spirituell verstandenen Energien der Erde und der Natur kann deshalb heute noch als Potenzial für Versöhnung und Heilung des aus der Balance geratenen Planeten verstanden werden.

Die Ausstellung Bewohnte Mythen in der Kunsthalle Tübingen kontextualisiert das Werk mit über 100 Arbeiten von Joseph Beuys in der Zeit seiner Entstehung – der für Mythen empfänglichen Nachkriegskunst. Neben Zeichnungen, Skulpturen und Videos des Künstlers sind daher in der Ausstellung auch Werke von Willi Baumeister, Hermann Nitsch, Richard Oelze, Meret Oppenheim und Fritz Winter vertreten. In einem chronologischen Parcours wird darüber hinaus anschaulich gemacht, dass vormoderne Traditionen das umfangreiche Œuvre von Beuys wie einen roten Faden durchziehen – vom Frühwerk bis zu seinen späten Aktionen und politischen Auftritten: Angefangen bei seinen Zeichnungen, in denen er Motive aus dem Volksglauben nachspürte, über die Heilkunde bis in die 1960er Jahre, in denen er – beeinflusst von der Fluxus- und Happening-Bewegung – Riten als magische Katalysatoren in Aktionen einsetzte, um beim Publikum die Sinne anzusprechen und uns zum Nachdenken anzuregen. Aus symboltheoretisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive ebnet die von Nicole Fritz konzipierte und kuratierte Ausstellung so einen Zugang zum Verständnis der individuellen Kunstsprache von Beuys und seiner künstlerisch artikulierten Weltdeutung.

Neueste Forschungsergebnisse zu Beuys und dem Nationalsozialismus aus dem Museum Schloss Moyland werden in der Ausstellung Bewohnte Mythen und im Rahmenprogramm ebenso berücksichtigt wie aktuelle Sichtweisen des Feminismus und der Human-Animal Studies auf das Beuys’sche Werk. 

Die Tatsache, dass der Künstler sich nicht öffentlich von seiner Kriegsbeteiligung distanzierte, wird heute kritisiert und kontrovers diskutiert. Beuys, der im Nationalsozialismus sozialisiert wurde, hatte den Krieg aktiv als Soldat mitgeprägt. Nach dem Krieg erlitt er auch aufgrund seiner Fronterlebnisse eine Depression. Aus der Lebenskrise heraus entwickelte er eine undogmatische, um europäische Mythologie erweiterte Spiritualität. Als Gegenmodell zum Krieg und um, wie er sagte, »zukünftigen Katastrophen entgegenzuwirken«, wollte Beuys aus der Kunst heraus erneut ein Gespür für spirituelle Dimensionen vermitteln. 

Die KERNBOTSCHAFT von Beuys
»Ohne die Rose tun wir's nicht!« - Auftrag zum Selberleuchten und In-Bewegung-Setzen

In vielen Aktionen hat Beuys als engagierter Künstler und Lehrer Ende der 1960er Jahre bis zu seinem Tod 1986 sein Publikum im Sinne seines »erweiterten Kunstbegriffs« dazu aufgerufen, die eigene Kreativität zu entdecken und für die Gesellschaft wirksam werden zu lassen. Die Botschaft dahinter: Jede / Jeder kann eine Künstlerin oder ein Künstler sein! Den utopischen Gesellschaftsentwurf, den er dabei vor Augen hatte, hat er selbst als Akteur, Lehrer und Politiker bei der Partei DIE GRÜNEN vertreten. Seine Vision einer »Sozialen Plastik« zielte auf eine Gemeinschaft im eigentlichen Sinne sich ›selbst bewusster Menschen, die aus künstlerisch-kreativen Impulsen und mit Empathie an einer humaneren Zukunft und an einem solidarischen Wir arbeiten. Gerade heute in einer Zeit, in der wir wieder darüber nachdenken, wie wir in einer Gesellschaft der Singularitäten wieder zu einem neuen Gemeinsinn kommen können, ist diese soziale Utopie erneut interessant.

An der Tübinger Ausstellung wurde neben anderen Werken an die Aktion 7000 Eichen. - Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung (1982) erinnert (siehe Werkbeschreibung weiter unten). Mit ihr hat Beuys seine Vorstellung der »Sozialen Plastik« anlässlich der documenta 7 auf anschauliche Weise umgesetzt. 1985 fand in der Kunsthalle Tübingen die Unterstützerausstellung 7000 Eichen für dieses Projekt statt.

Einige Werke 

JOSEPH BEUYS - ERDTELEFON, 1968
Telefon, Tonklumpen, getrocknetes Gras, Kabel, Holzbrett
Collection Thaddaeus Ropac, London • Paris • Salzburg • Milan • Seoul

Bei diesem Werk hat Beuys einen Erdklumpen, aus dem vertrocknete Grashalme herausragen, und ein altes Telefon mit Kabel auf einem Brett nebeneinander platziert. In einem anderen Zusammenhang sagte Beuys einmal, »dass er die Erde nach den furchtbaren Vertotungen wieder zum Leben erwecken wolle«, ein Ausspruch, der auch zu diesem Werk passt. Beuys spielt nonverbal mit dem vorliegenden Werk auch auf die Schöpfungsmythen an, die mit dem Material Erde als Stoff traditionell verbunden sind. So findet sich die Erschaffung des Menschen aus Erde in vielen Religionen und Kulturen (Prometheus, Golem). Auch in der romantischen Naturphilosophie wurde fliessende Elektrizität als göttlicher Odem angesehen.

Dieses Modell der Kräfteübertragung scheint auch Beuys' Erdtelefon zugrunde zu liegen. Dazu befragt, äusserte Beuys, er »habe kein Interesse, das Telefon zu interpretieren [...] Mich interessieren die Kräfte, die an dieser Sache beteiligt sind [...].«
Vgl. Monika Wagner: Materialien und ihre Geschichten. Werkstoffe bei Joseph Beuys und anderen Künstlern des 20. Jahrhunderts. In: Joseph Beuys. Symposium zur Material-Ikonografie. 11. Bedburg-Hau, 2008, S. 13-21.*

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JOSEPH BEUYS - KOPF, 1963 (RAHMEN, 1963)
Bleistift auf Karton
MSM 01373, Museum Schloss Moyland, Bedburg-Hau/Kreis Kleve

Kopf ist der Titel eines 1963 entstandenen Kunstwerks in Form einer Schachtel aus Karton, auf dessen Boden aus hellem Papier die Form eines Kopfes im Profil gerissen ist. Der ausgerissene Kopf ist leicht in den Nacken gelegt und blickt nach links oben aus dem Bild. Knapp unterhalb des Kopfes ist ein horizontaler Strich gezogen. Die unregelmässig gerissene organische Form des Kopfes steht im Kontrast zu den klar geometrisch definierten Formen der Schachtel.

Der Kopf als Sitz des Denkens und der Imagination scheint über der Grundlinie zu schweben. Ein Bild, mit dem Beuys auf die Begrenztheit eines rein rationalen Denkens verweist. Das Kunstwerk - eine kritische Metapher für den einseitig aufs Denken ausgerichteten modernen Menschen? In Werken und Äusserungen wie »Ich denke sowieso mit dem Knie« hat er immer wieder in diese Richtung gewiesen und gefordert, dass der positivistische Wissenschaftsbegriff zu einem ganzheitlichen körperlichen und kreativen Denken erweitert werden müsse, das nicht nur den intellektuellen Verstandespol, sondern den gesamten Körper mit einbezieht:

»Es gibt zweierlei Dinge«, so Beuys. »Es gibt einen materialistischen Wissenschaftsbegriff, der hat Scheuklappen und es gibt ein anderes Ding, das geht in ein noch unbekanntes Gebiet [...]« (Beuys, zit. nach: Joseph Beuys, in: Klara Bodenmann-Ritter: Jeder Mensch ein Künstler. Gespräche auf der Documenta  5. Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1989, S. 29.)

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JOSEPH BEUYS - STADTVERWALTUNG, 16. MÄRZ 1982 - 12. JUNI 1987
Aktion von Joseph Beuys im Kontext der documenta 7, Kassel, aus: aspekte Extra. Museum der hundert Tage.
Bericht von der documenta 7, ZDF (Produktion), 21. Juni 1982 (Erstsendung), Farbe, Ton, 9:25 Minuten, ZDF Studios GmbH

Mit dieser Aktion prägte Joseph Beuys nachhaltig und bis zum heutigen Tag den Kasseler Stadtraum. Anlässlich der Ausstellungsreihe documenta 7 in Kassel liess er 7000 Stelen aus Basalt vor dem Museum Fridericianum keilförmig aufschichten. Zusammen mit je einer Eiche oder einem anderen Baum sollten die Stelen im Laufe der Zeit im Stadtraum eingesetzt werden. Der Künstler machte mit einer Pflanzung vor dem Fridericianum den ersten Schritt. Durch eine Spende von 500 DM konnte jede*r die Pflanzung eines Baumes veranlassen. Für die Koordination der Aktion wurde eigens ein Organisationsbüro gegründet. Neben Privatpersonen finanzierten die Dia Art Foundation in New York sowie verschiedene Firmen und Institutionen das Projekt. Auch Beuys selbst brachte Gelder auf, etwa durch den Verkauf seines Werks Friedenshase mit Sonne (1982) das aus seiner Aktion Einschmelzung der Zarenkrone (1982) entstanden war, aber auch durch Werbung für Japanischen Whiskey. Die Pflanzung des letzten Baumes erlebte der im Jahr 1986 verstorbene Künstler jedoch nicht mehr - dieser wurde zur Eröffnung der documenta 8 am 12. Juni 1987 durch seinen Sohn Wenzel Beuys neben den ersten Baum seines Vaters gepflanzt. Wie dieser TV-Beitrag des ZDF in der Sendung Aspekte vom 21. Juni 1982 verdeutlicht, erweiterte der Künstler damit den musealen Raum.

Seine »soziale Plastik« verband die Kunst mit den Menschen vor Ort. Beuys sensibilisierte für die Umwelt, indem er gemeinsam mit dem Publikum die versteinerte Stadt ökologisch transformierte. So steht der starre Basaltstein nicht nur symbolisch für den Tod, er birgt ferner die Dimension der Zeit in sich, dem Beuys Bäume zur Seite stellte, die bis heute weiterwachsen.

Vgl. Eugen Blume (Hreg.): Beuys. Die Revolution sind wir.

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JOSEPH BEUYS - KUNST IST, WENN MAN TROTZDEM LACHT, 1979
Kreide auf Tafel
Galerie Thaddaeus Ropac, London • Paris • Salzburg • Milan • Seoul

Kunst ist, wenn man trotzdem lacht steht mit Kreide auf der schwarzen Tafel. Beuys bezieht sich hier auf den deutschen Lyrikers Otto Julius Bierbaum (1865-1910) (Humor ist, wenn man trotzdem lacht). Er unterschreibt diesen jedoch mit J.B. und Dante - womit er zusätzlich auf die Göttliche Komödie des italienischen Dichters und Philosophen Dante Alighieri rekurriert. 1979 hat Joseph Beuys denselben Satz auch für eine Postkartenedition verwendet und mehrere Poster der Freien Internationalen Universität (FIU) damit gestempelt.

Diese zweiteilige Tafelarbeit entstand anlässlich einer Vortragsperformance des Künstler 1978 in Gelsenkirchen, wo er für die Freie Internationale Universität tätig war. Im Sinne seines erweiterten Kunstbegriffes waren derartige Tafelarbeiten nicht nur didaktisch gemeint, sondern skulpturaler Ausdruck des Denkens, an dem auch alle, die bei einer solchen Aktion dabei waren, zum Ergebnis im Sinne einer sozialen Skulptur beitrugen. Deshalb sah er solche Tafelarbeiten auch als eigenständige Werke an. Nicht zuletzt steht diese Arbeit für den Humor und die Selbstironie des Künstlers, der seine Arbeit wie einen roten Faden durchzieht: Bereits anlässlich einer Konferenz in Marburg 1971 hatte Beuys, nachdem er sich die Reden der Teilnehmenden angehört hatte, die Redner*innen aufgerufen, gemeinsam zu lachen: »Wir müssen viel lachen, viel mehr lachen. Wir müssen über uns selbst lachen, da wir uns viel zu ernst nehmen. Das muss zuerst sein. Wir müssen über unsere Köpfe hinausdenken. Nur dann wird Platz genug sein für das wirklich Neue.«

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JOSEPH BEUYS - CAPRI-BATTERIE, 1985
Glühlampe mit Steckerfassung, in Holzkiste, Zitrone
Privatsammlung Berlin

Die gelbe Glühbirne wird durch einen elektrischen Stecker an einer Zitrone befestigt. Symbolisch versorgt die Zitrone so die Glühbirne mit Energie.

Die Zitrone hat die Kraft dazu aus der Natur erhalten, sie ist ein nachwachsender Rohstoff. Die Menschen haben schon immer Energie aus der Erde geschöpft, doch in den 1980er Jahren wurde die Verantwortung des Menschen für die Natur und die Energiegewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen breit diskutiert. Beuys beteiligte sich intensiv an diesem Diskurs.

1985, ein Jahr vor seinem Tod, hielt sich Beuys mehrere Wochen auf Capri auf. Angeregt von den leuchtenden Farben der Insel entwickelte er die Capri-Batterie in kräftigem Gelb.

Zu dem Multiple Capri-Batterie gehört eine Holzbox, auf der die Aufschrift »nach 1000 Stunden Batterie auswechseln« aufgedruckt ist. In der ihm eigenen humorvollen Art weist Beuys nicht nur darauf hin, dass Natur und Erde über starke Energien verfügen, sondern kommentiert auch ironisch die konsumorientierte moderne Wegwerfgesellschaft und die verbreitete Haltung, dass die natürlichen Ressourcen ›unendlich‹ nutzbar seien.

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Einige weitere wichtige Elemente in Beuys Schaffen:

Der Hase in Bewegung
Der Hase spielt als eine Art Alter Ego-Figur eine besondere Rolle im Werk von Beuys (»Der Hase, das bin ich«, J. Beuys). War der Hase in den 1950er Jahren noch ein Tiermotiv unter anderen, tritt er im Verlauf der 1960er Jahre - zunächst meist als totes Tierrequisit - an die Seite des Künstlers und spielt neben diesem die Hauptrolle. Erstmals tritt der Hase in der Aktion Sibirische Symphonie, 1. Satz (1963) auf. Dort scheint Beuys die verloren gegangene spirituelle Dimension dadurch zu veranschaulichen, dass er dem Hasen das Herz herausnimmt.
In der 1965 in Düsseldorf aufgeführten Aktion "Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt" wendet sich Beuys dem Hasen zu. Als er sich Ende der 1960er Jahre verstärkt politisch zu engagieren beginnt, setzt sich auch der Hase in Bewegung. In der Aktion Eurasia bewegt er 1966 in Kopenhagen den Hasen an Stäben durch den Raum. »Der Hase«, so kommentiert der Künstler, »fungiere als ›Überbrückungszeichen‹ im Ost-West-Konflikt.« Am Ende des Werkes steht dann der Goldene Hase oder Friedenshase, den Beuys vier Jahre vor seinem Tod 1982 bei einer Schmelzaktion anlässlich der documenta 7 in Kassel anfertigte. Beuys lässt bei dieser Aktion eine originalgetreue Kopie der Zarenkrone Iwans des Schrecklichen einschmelzen und zu einem Hasen und einer Sonnenkugel (1982) umformen. 

Wärmender Filz

Im Medium der Arbeiten auf Papier hat Beuys das alltägliche Material Filz bereits seit den 1950er Jahren in die Kunst eingeführt.
Anfang der 1960er Jahre beginnt er, das Material Filz in seinen Werken und Aktionen einzusetzen. Wie das Material Fett bringt Beuys den aus Tierhaaren bestehenden Filz in Verbindung mit Ideen seiner »Plastischen Theorien, wo Filz wie die Haut eine physisch und psychisch schützende Bedeutung, aber auch eine abschirmende, begrenzende Funktion hat. Im Zusammenhang mit dem Filzanzug (1970) erläutert er diese wärmenden und abschirmenden Aspekte: »Der Filzanzug ist nicht nur ein Gag, sondern eine Erweiterung meiner Filzplastiken, die ich auch in Aktionen gemacht habe. Hier tritt der Filz ja auch als ein Wärmeelement oder Isolator auf, unter allen Kategorien von Wärmeplastik wird er da benutzt, meistens im Zusammenhang mit Fett. Und davon ist das ein Abzweiger. Also hat einen Bezug zum Wärmecharakter.« JOSEPH BEUYS IN JÔRG SCHELLMANN JOSEPH BEUVS. DIE MULTIPLES. MÜNCHEN/NEW YORK 1992, S. 16. Es gibt aber auch noch die Erklärung, dass wärmender Filz so wichtig für Beuys war, da ihn Bauersleute auf der Krim nach seinem Bomberabsturz gepflegt und mit Filz gewärmt haben. 

Heilendes Fett
Fett wird in vormodernen Kulturen mit mythischen und magischen Bedeutungen aufgeladen.
Beuys hat Fett in den unterschiedlichsten Zuständen und Varianten verwendet (Fettstuhl/ Fettecke) und es Anfang der 1960er Jahre als Material ins Zentrum seiner »Plastischen Theorie« gestellt. Im Rahmen seines »Erweiterten Kunstbegriffs« symbolisiert es auch das Potenzial zur plastischen Veränderung. Fett ist für Beuys dabei ein Energiepotenzial, das auf das Plastische als Lebenselement im Menschen selbst verweist. Je nach Werkkontext setzte er Fett, Speckseiten und Wurst als Proviant für imaginäre Reisen ein (vgl. Schlitten)

*Aus diesem Grunde bin ich ja auf das Fett gekommen. Das ist eine sehr lange Geschichte, weil ich glaube, dass im Fett etwas enthalten ist, was den Wärmecharakter am besten demonstriert, der in meiner Theorie von Plastik der Ausgangspunkt war. Weil ich eine Theorie über den Wärmecharakter von Plastik von einem Evolutionsprinzip dargestellt, niedergeschrieben habe, erschien mir zu der gleichen Zeit als Demonstrationsmaterial das Fett am geeignetsten. Seine absolute Flexibilität, seine Anfälligkeit gegenüber Temperaturschwankungen -, so konnte das Fett in den Aktionen auftreten in einem völlig chaotischen Zusammenhang, indem man es zum Beispiel einfach in den Raum hineinwarf. Und dann kann man es mit Wärme bearbeiten, dann verfliesst es sozusagen völlig. Dann kann man es aber auch wieder erkalten lassen, also Wärme und Kälte als zwei Prinzipien innerhalb der Plastik, die mich interessiert haben. [...] Man könnte daraus durchaus die Venus von Samothrake modellieren, genauso gut wie die alten Griechen, und man könnte sie sich davon in Bronze abgiessen. Also Fett ist durchaus ein Material, mit dem man auch klassische Kunstwerke schaffen könnte. Nur bei mir spielt es während der Aktion eine ganz bestimmte Rolle. Das Fett nimmt den Weg von einer chaotisch zerstreuten, energieungerichteten Form zu einer Form. Dann tritt es auf in der berühmten Fettecke. Hier haben Sie schon in etwa auf einem Stuhl eine Art Fettecke, die jetzt den menschlichen Körper in einer Gegend anschneidet, wo gewiss emotionale Kräfte zu Hause sind.* JOSEPH BEUYS IM GESPRÄCH MIT WULF HERZOGENRATH, T9, JANUAR 1972, IN WULF HERZOGENRATH: SELBSTDARSTELLUNG. KÜNSTLER ÜBER SICH DUSSELDORF 1973. S. 30-3%

Gib mir Honig
Honig zählt zu den ältesten Materialien und Substanzen der Menschheitsgeschichte.
In allen Kulturen kommt diesem Naturstoff eine grosse Bedeutung zu. Auch in der Plastischen Theorie von Beuys spielt das Naturprodukt eine grosse Rolle - obgleich Honig im Werk des Künstlers seltener zu finden ist als Fett oder Filz.
Für Beuys ist es weniger konkretes plastisches Material als vielmehr Sinnbild. So verweist er insbesondere in Zusammenhang mit Gedankenarbeit auf Honig und setzt diesen auch in Aktionen parallel, so in "Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt" (1965).

»Mit Honig auf dem Kopf tue ich natürlich etwas, was mit dem Denken zu tun hat. Die menschliche Fähigkeit ist nicht, Honig abzugeben, sondern zu denken, Ideen abzugeben. Das wird jetzt parallel gesetzt. Dadurch wird der Todescharakter des Gedankens wieder lebendig gemacht. Denn Honig ist zweifellos eine lebendige Substanz. Der menschliche Gedanke kann auch lebendig sein. Er kann auch intellektualisierend tödlich sein, auch tot bleiben, sich todbringend äussern, etwa im politischen Bereich oder in der Pädagogik.« BEUYS IN: LOTHAR ROMAIN/ROLF WEDEWER: ÜBER BEUYS. DÜSSELDORF 1972, S. 37. 

Soziale Bienen
Die Bienen waren für Beuys wichtig, weil sie für die harmonische Verbindung des organisch Lebendigen mit dem rationell Erstarrten stehen. Im Bienenstock vollzieht sich die Wandlung von Pollen und Blütenstaub in den fettähnlichen Stoff Wachs und in ein kristallines System von Waben. Die kristallinen Waben sind so das Ergebnis von Lebens- und Wärmeprozessen. Der Bienenstock - an dem jede Biene des Bienenvolkes etwas dazugibt - ist deshalb für Beuys Anschauungsobjekt und Metapher für die Entwicklung seiner plastischen und sozialen Wärmetheorie und einer zukünftigen Gesellschaft.

»Ich habe später eine plastische Theorie ausgebildet, wo der Wärmecharakter, die Wärmeskulptur eine grosse Rolle spielt, die sich schliesslich auf das ganze Soziale ausdehnt, also als politischer Begriff, sogar sich ausdehnen lässt. Und in diesem ganzen Zusammenhang muss man das sehen mit der Biene.« JOSEPH BEUYS, ZIT. NACH: DOCUMENTA 6. KASSEL 1977, S. 156.

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